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Janukowitsch verliert Macht Timoschenko spricht in Kiew

22.02.2014, 19:35

Kiew I Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko ist nach ihrer Haftentlassung unter gewaltigem Jubel auf dem Maidan in Kiew empfangen worden. Eine Menge aus Zehntausenden Menschen feierte die frühere Regierungschefin auf dem Unabhängigkeitsplatz wie eine Volksheldin. "Ehre den Helden", waren ihre ersten bewegten Worte mit zitternder Stimme. Kurz versagte ihre Stimme unter Tränen. Die an einem Rückenleiden erkrankte Politikerin saß in einem Rollstuhl.

Das ukrainische Parlament hatte die Oppositionsführerin Julia Timoschenko aus der Haft befreit und den Präsidenten Viktor Janukowitsch für abgesetzt erklärt. Das Abgeordnetenhaus in Kiew kündigte am Samstag für den 25. Mai die Wahl eines neuen Staatschefs an. Janukowitsch erklärte die Beschlüsse für "gesetzwidrig". Er werde nicht zurücktreten und auch nicht das Land verlassen.

Russland rückte erstmals öffentlich von Janukowitsch ab. Die jüngsten Ereignisse im Nachbarland seien Beweis für den Machtverlust des Staatschefs, meinte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Puschkow, in Moskau.

Timoschenko verließ am frühen Abend nach mehr als zweieinhalb Jahren das Gefängnis in Charkow und landete bald darauf in Kiew, wo die Regierungsgegner die Kontrolle übernommen haben. Sie wollte bei der nächsten Präsidentenwahl kandidieren, sagte die wohl beliebteste Politikerin des Landes. Im Februar 2010 hatte sie die Präsidentenwahl gegen Janukowitsch verloren. "Die Diktatur ist gestürzt", verkündete die 53-Jährige. EU-Parlamentschef Martin Schulz nannte die Freilassung der Ex-Regierungschefin einen "historischen Augenblick für die Ukraine und für Europa".

Die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat sich nach ihrer Freilassung aus der Haft für einen direkten EU-Kurs ihres Landes ausgesprochen. "Ich bin überzeugt, dass die Ukraine in nächster Zeit Mitglied der Europäischen Union sein und dies alles ändern wird", sagte sie am Samstag der Agentur Interfax zufolge im Gespräch mit Journalisten. Unter Präsident Viktor Janukowitsch hatte sich die Ex-Sowjetrepublik zuletzt auf Druck Russlands von der EU abgewandt.

Oppositionspolitiker Vitali Klitschko sprach von einem "politischen K.O." für Janukowitsch. In Kiew schützten sogenannte Selbstverteidigungskräfte das Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei vor Übergriffen. Die Sicherheitsorgane des Innenministeriums liefen zur Opposition über. Die Armee erklärte, sie werde sich nicht in den Machtkampf einmischen.

Janukowitsch hielt sich nach eigener Aussage im prorussischen Osten des Landes auf. "Die Ereignisse, die unser Land und die ganze Welt gesehen haben, sind ein Beispiel für einen Staatsumsturz", sagte der Präsident. Seine Residenz Meschigorje bei Kiew war verlassen, Wachleute ließen Schaulustige zu einem "Tag der offenen Tür" herein. "Ein trauriges Ende für einen Präsidenten", meinte Puschkow.

Bundesaußenminister Frank-Waltr Steinmeier schätzte die Lage trotz eines Abkommens zwischen den Konfliktparteien als "höchst fragil" ein. "Die Vereinbarung ist keine Garantieerklärung für eine friedliche Entwicklung der Ukraine mit einer politischen Zukunft, die das Land beieinander hält", sagte Steinmeier in Hofgeismar (Hessen). Im "Spiegel" lobte der SPD-Politiker Russlands Rolle bei den jüngsten Verhandlungen in Kiew. Moskaus Unterhändler Wladimir Lukin habe sehr konstruktiv mitverhandelt. Am Freitag hatten Regierung und Opposition auch unter Vermittlung Steinmeiers einen Kompromiss beschlossen, der einen politischen Ausweg ebnen soll.

Die Oberste Rada in Kiew wählte mit großer Mehrheit den früheren Vizeregierungschef Alexander Turtschinow zum neuen Parlamentspräsidenten. Er ist ein Vertrauter Timoschenkos. Der bisherige Rada-Chef Wladimir Rybak hatte zuvor seinen Rücktritt erklärt. Turtschinow soll bis zur Ernennung einer Übergangsregierung die Kabinettsarbeit steuern. Zum Innenminister wurde der Oppositionelle Arsen Awakow bestimmt, Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka hingegen entlassen. Viele TV-Sender übertrugen die Sitzung.

Experten wiesen darauf hin, dass der Staatschef trotz des Parlamentsbeschlusses formal weiter im Amt sei. Ein juristisch korrektes Amtsenthebungsverfahren müsse mehrere Hürden überwinden. Mehrere Kabinettsmitglieder sollen ins Ausland geflohen sein, darunter der vom Parlament abgesetzte Innenminister Witali Sachartschenko.

In Charkow, einer Machtbasis Janukowitschs, trafen sich Delegierte aus dem prorussischen Osten und Süden der Ex-Sowjetrepublik zu einem Kongress der sogenannten Ukrainischen Front. Dabei warfen sie der Opposition einen Staatsstreich mit Hilfe der EU und der USA vor.

Bei blutigen Zusammenstößen von Regierungsgegnern mit der Polizei in Kiew waren in den vergangenen Tagen auf beiden Seiten mindestens 77 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. "Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten", sagte der Kommandant des Unabhängigkeitsplatzes (Maidan), Andrej Parubij. "Jetzt kontrolliert der Maidan ganz Kiew." In westlichen Regionen hatten Regierungsgegner schon zuvor die Kontrolle über Verwaltungsgebäude übernommen.

Die Demonstrationen gegen Janukowitsch waren Ende November ausgebrochen, nachdem der Staatschef auf Druck Russlands ein historisches Partnerschaftsabkommen mit der EU auf Eis gelegt hatte.

Timoschenko war im Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs trotz internationaler Proteste zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden. In dem nach Ansicht internationaler Beobachter politisch motivierten Verfahren wurde ihr ein Abkommen mit Russland über Gaslieferungen zum Nachteil der Ukraine zur Last gelegt.