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Hilfstransport Medizinische Geräte statt Heiligenbilder

Der Verein Notruf Ukraine - Polizisten helfen schickt einen Hilfstransport nach Lutsk. Zwei 40-Tonner befördern medizinische Geräte.

Von Gerald Eggert 02.01.2017, 23:01

Halberstadt l 18 Helfer packten an dem eisigen Dezembertag mehrere Stunden zu, als auf dem Lagergelände des Vereins „Notruf Ukraine - Polizisten helfen“ am Rande Aspenstedts zwei 40-Tonner mit Hilfsgütern für die Ukraine beladen wurden. Sie verstauten vor allem Krankenhausbetten nebst den dazu gehörenden Matratzen und Schränken sowie Rollstühle und medizinische Verbrauchsgüter.

Ziel der beiden Fahrzeuge ist allerdings keiner der Orte, die von dem Verein seit Jahren angesteuert werden, sondern die Stadt Lutsk (216 000 Einwohner) in der nordwestlichen Ukraine. Auch wurde dieser Transport nicht von dem aktiven Vorharzer Verein, sondern von der Aktion Tschernobyl-Hilfe Hildesheim organisiert. „Es war mehr oder weniger Zufall, dass unsere Vereine zusammengekommen sind“, erinnert der Osterwiecker Ulrich Scholle. Er berichtet, dass die Hildesheimer dringend Krankenhausbetten benötigten und dabei in Kontakt mit seinem Verein gekommen sind, der genügend davon im Lager vorrätig hatte. Die Vorsitzende Rita Limmroth sichtete daraufhin den Bestand, organisierte den Transport und kam mit einigen ihrer Vereinsmitglieder nach Aspenstedt, um bei der Verladung zu helfen.

Rita Limmroth ist seit 26 Jahren mit der Hilfe für Menschen aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion beschäftigt, die unmittelbar oder mittelbar durch die Nuklearkatastrophe im Kernkraftwerk bei Tschernobyl im Jahre 1986 erkrankt oder in Not geraten sind, 15 Jahre davon mit dem Verein. Drei Jahre nach der Reaktorkatastrophe war Limmroth selbst das erste Mal in Tschernobyl, auch in der Sperrzone. Dieser und die folgenden Besuche und das erlebte Leid bei den vielen Betroffenen haben sie geprägt und motiviert, zu helfen.

Die Aktion Tschernobyl-Hilfe unterstützt inzwischen rund 8000 von der Katastrophe betroffene Familien. Es werden aber nicht nur Pakete hingeschafft, sondern auch Patenschaften vermittelt und Ferienkinder nach Deutschland eingeladen. „Längst wissen wir genau, wo der Bedarf an Hilfe groß ist“, sagt die engagierte Frau. Sie verweist auf die Krankenhäuser, in denen schlimme Zustände herrschen. Es fehle an allem, weiß sie von ihren Besuchen. An Behandlungen wie im westlichen Europa sei nicht zu denken, und das drei Jahrzehnte nach dem Unglück und den vielen schlimmen gesundheitlichen Folgen.

Deshalb habe man sich inzwischen auf die Ausstattung des Kindergebietskrankenhauses in Lutsk konzentriert. Abteilung für Abteilung solle nacheinander geholfen werden. Die Spenden sollen nicht nach dem Gießkannenprinzip über die Ukraine verteilt werden, sondern der Einrichtung gut ausgestatteter Stützpunkten wie dieser Einrichtung dienen. Gut 20 Jahre hinkte die Medizin hinterher, bevor die Hilfe der Hildesheimer einsetzte. Vieles habe sich seitdem verbessert, doch vieles mehr liege noch im Argen. Limmroth weiß, wovon sie spricht, war sie doch oft genug vor Ort und hat mit eigenen Augen das Leid gesehen.

Bei einem der letzten Transporte packten selbst die Klinikärzte zu, als es galt die dringend benötigten medizinischen Geräte zu sichern und die schweren Zahnarztstühle, Ultraschall-, Beatmungs- und Sterilisierungsgeräte von der Ladefläche zu schieben. Als wenige Tage später noch zwei Kleintransporter mit einem teuren Operationsmikroskop, den passenden Hockern für die Chirurgen sowie Blutdruckmessgeräten, Klemmen, Schutzbrillen Spritzen und Verbänden für die Neurochirurgie der Kinderklinik eintrafen, fehlten ihnen die Worte. „Genau so erging es uns, als wir sehen mussten, dass Chirurgen in der Orthopädie in Ermangelung medizinischer Gerätschaften Werkzeuge für Operationen benutzen, die sie im Baumarkt gekauft hatten - Bohrmaschine, Zangen und Seitenschneider, die bei uns von Heimwerkern benutzt werden“, erzählt Rita Limmroth. Es gebe kein brauchbares Röntgengerät, mit dem vorhandenen dauert das Entwickeln der Bilder drei Stunden. Uralte und davon noch viel zu wenige Bettgestelle, stehen in den tristen Krankenzimmern.

Die Betten haben keine verstellbaren Liegeflächen, so dass bei Kopf- und Rückenoperationen Patienten durch veränderte Liegepositionen nicht entlastet werden können. Deshalb sei es so wichtig, dass möglichst viele solcher Betten nach Lutsk geschafft werden. Die Rollstühle, die vom Steinke Gesundheits- Center stammen und ebenfalls auf die lange Reise geschickt wurden, sollen Familien mit spastisch gelähmten Kindern bekommen.

Ärzte des Kinderkrankenhauses bekräftigten, dass sie ohne die Unterstützung der Aktion Tschernobyl-Hilfe Hildesheim fast keine Möglichkeit hätten, Kinder so zu behandeln, wie es notwendig wäre. Auf der Intensivstation sollten schwerkranken Kindern bis vor wenigen Jahren nur Bilder von Heiligen helfen.

Längst nehmen Patienten eine weite Anreise in Kauf. Für sie und ihre Familien ist das mit erheblichem Aufwand verbunden. Denn auf den meist völlig kaputten Straßen sind sie für 150 Kilometer mehrere Stunden unterwegs. Neben der Anreise muss die Behandlung bezahlt werden, ebenso jedes einzelne Medikament. Krankenversicherungen gibt es in der Ukraine nicht.

Als das Operationsmikroskop und ein neuer medizinischer Bohrer erstmals zum Einsatz kamen, war Rita Limmroth vor Ort und dokumentierte die schwierige Operation. Dazu waren extra Professoren aus Kiew angereist, welche die Kinderärzte unterstützten und selbst zum ersten Mal mit solch hochwertigen Geräten operieren konnten.

„Wir lassen nichts unversucht“, unterstreicht Rita Limmroth, „ich spreche Firmen direkt an wegen ganz bestimmter dringend benötigter Geräte und habe auf diese Weise schon viel bekommen“.

„Viele reden nur, wir helfen“, wirft Ulrich Scholle ein, „das haben unsere Vereine gemeinsam“. Deshalb werde es auch künftig eine Zusammenarbeit geben, versichert er.

Der Vereinsvorsitzende erinnert daran, dass das Lager in der Halberstädter Taubenstraße aufgelöst worden ist und sich das Vereinsdomizil jetzt in Aspenstedt Hinter dem Dorfe 170 befindet. Nicht nur hier stehen Container für Kleiderspenden, sondern auch noch in der Taubenstraße und an anderen Orten in der Region. „Bei größeren Spenden ab 15 Säcke kommen wir vorbei und holen sie ab“, sagt er und verweist auf die Telefonnummer (01 57) 85 24 28 08.

Weil es in den Hallen und auf dem Gelände während der Verladung sehr kalt ist, müssen sich die ehrenamtlichen Helfer regelmäßig in einem kleinen beheizten Raum aufwärmen. Dort spendierte Sanitätshaus-Geschäftsführer Roland Steinke allen ein kräftiges Frühstück.