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Lesung Die Sprache des Dritten Reiches

Christa Tornow und Gero Wachholz lasen im Club Hanseat Salzwedel aus den Notizen von Viktor Klemperer.

30.01.2017, 14:22

Salzwedel l „Beobachte, studiere, präge dir ein, was geschieht.“ Diese Forderung richtete der Romanist Viktor Klemperer in der Zeit des Nationalsozialismus an sich selbst. Jeden Tag. In seinen Tagebüchern sammelte er die Sprache des Dritten Reiches. Viele Einträge beginnen mit dem Kürzel LTI - Lingua Tertii Imperii - und der Analyse eines Wortes, das typisch war für diese Zeit und den damals herrschenden Geist widerspiegelte.

Anlässlich der Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus lasen Christa Tornow und Gero Wachholz am Freitagabend im Hanseat aus Klemperers Notizen. Diese zeigten nicht nur, wie sich das menschenverachtende System in Sprache und Reden niederschlug, sondern auch, welchen Demütigungen Viktor Klemperer als Jude täglich ausgesetzt war.

Viele Dinge, die zum normalen Leben gehören, wurden den Juden nach und nach verboten: ihren Beruf auszuüben, Bibliotheken zu benutzen, Radio zu hören, zu beliebigen Zeiten einkaufen zu gehen, Parks zu betreten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen ... Dem Zwangseid auf Adolf Hitler folgt der Entzug der Lehrerlaubnis für den Romanistik-Professor an der Technischen Hochschule Dresden auf dem Fuß.

Und dazu die Allgegenwart einer Sprache, die so totalitär war wie das System, das sie hervorbrachte. Die Menschen waren mit Begriffen wie „Arbeitsschlacht“ , „totale Wissenschaft von Volk und Staat“ oder „Körperertüchtigung“ konfrontiert, später, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kamen „Blitzsieg“ und „Gegenschlag“ hinzu.

Das Ich verschwand und wurde durch das Wir ersetzt. Die Sprache würde vom Superlativismus und vom Prahlen geprägt, stellte Klemperer fest. Die Amerikaner würden kindisch prahlen, die Deutschen dagegen größenwahnsinnig.

Im Laufe der Zeit registrierte Viktor Klemperer immer stärker, wie der Gebrauch der Sprache immer mehr dafür sorgte, dass die Menschen auch das Wesen des Nationalsozialismus verinnerlichten.

Dazu bewegten Klemperer die Sorgen, wie der Hausbau finanziert werden sollte, ob sein Buch über die französische Literatur jemals gedruckt werde, wie die tägliche Versorgung gesichert werden soll, der schlechte Gesundheitszustand seiner Frau Eva und bald auch die Frage, ob sie beide diese Zeit überhaupt überleben würden. Während der Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 riss seine Frau Eva dann den Judenstern von seiner Kleidung, so entkamen sie der Deportation. „LTI, Notizbuch eines Philologen“ erschien 1947.

Während Gero Wachholz die Passagen aus den Tagebüchern vorlas, erläuterte Christa Tornow die historischen Ereignisse. Knapp 100 Zuhörer waren zu der Veranstaltung ins Hanseat gekommen.

Christa Tornow freute sich besonders über zahlreiche Jugendliche unter den Gästen. „Sie haben sich hinterher bedankt, das haben wir noch nie erlebt“, sagte sie.

Die Lesung fand im Rahmen der Veranstaltungswoche „Denken ohne Geländer“ in der Altmark statt und wurde vom Aktionsbündnis Buntes Salzwedel organisiert und über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ unterstützt.