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Streit um Schadstoffausstoß Daimler-Rückruf und Dieselverbote: Wie geht es weiter?

Nächste Runde im Diesel-Drama. Daimler will Millionen Fahrzeuge nachrüsten - wohl auch, damit die Kunden drohenden Fahrverboten in schadstoffbelasteten Innenstädten entgehen. Die Meinung eines Verwaltungsgerichts dürfte Autofahrer ebenfalls interessieren.

Von Nico Esch und Jan Petermann, dpa 20.07.2017, 08:57

Berlin (dpa) - Müssen Dieselautos künftig draußen bleiben? In mehreren großen Städten beschäftigt die Debatte um Fahrverbote vor allem für ältere Modelle Autofahrer, Verwaltung und Hersteller gleichermaßen.

Daimler startet eine riesige Nachrüstaktion, um die Schadstoffwerte seiner Wagen zu verbessern. Und ein Gericht wird eine womöglich wegweisende Entscheidung treffen. Fragen und Antworten:

Was genau hat Daimler vor?

Europaweit mehr als drei Millionen Diesel-Fahrzeuge werden nachgebessert. Nach Angaben des Autobauers sind das nahezu alle Mercedes-Diesel mit den Abgasnormen Euro 5 und 6, die in Europa unterwegs sind - ausgenommen die jüngste Motorengeneration. Die hält bereits die von September an geltenden Grenzwerte für den realen Fahrbetrieb auf der Straße ein und muss daher laut Daimler nicht nachgerüstet werden. Rund 220 Millionen Euro soll die Aktion kosten, demnächst beginnen und "bis weit ins Jahr 2018" dauern.

Was genau wird dabei gemacht?

Der Schadstoffausstoß soll mit einer neuen Software verringert werden. Daimler will damit zum einen das sogenannte Thermofenster verändern. Es sorgt dafür, dass die Abgasreinigung außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs abgeschaltet wird, um - wie Hersteller argumentieren - den Motor zu schützen. Dieses Fenster soll nach oben und unten vergrößert werden, die Reinigung ist dann häufiger aktiv.

Zum anderen soll der Ausstoß schädlicher Stickoxide (NOx) mit der Software generell sinken. Wie das alles funktioniert, sagt Daimler nicht und verweist auf "aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklung der neuen Dieselmotoren-Familie". Der Besitzer werde am Ende keinen Unterschied an seinem Auto bemerken, versichert der Hersteller.

Was müssen Autobesitzer nun tun?

Daimler verspricht, die Besitzer aller betroffenen Fahrzeuge zu informieren. Sie müssen dann einen Termin in der Werkstatt machen, wo ihr Fahrzeug die neue Software bekommt - kostenlos. Etwa eine Stunde soll das dauern. Wer will, kann sich auch von selbst melden, das dürfte den Vorgang aber nicht beschleunigen. Die Software muss erst noch programmiert werden - und zwar in x-facher Ausführung, je nach Fahrzeugtyp, Leistungsstufe des Motors oder Getriebeart.

Bessern auch andere Hersteller ihre Diesel nach?

Schon seit einigen Monaten. Hintergrund sind Nachmessungen des Kraftfahrt-Bundesamtes im Zuge des VW-Skandals. Dabei hatten sich bei 22 von 53 getesteten Wagen Zweifel ergeben, ob ein Herunterregeln der Abgasreinigung bei niedrigeren Temperaturen tatsächlich mit dem Motorschutz zu begründen ist. Die deutschen Hersteller sagten für 630 000 Fahrzeuge Nachbesserungen im Rahmen von "Serviceaktionen" zu. Daimler war dort schon dabei, nach jüngsten Angaben mit 270 000 Wagen. Unabhängig davon läuft ein verpflichtender Rückruf für 2,4 Millionen Autos von VW mit verbotener Manipulations-Software.

Warum ist der Fall Stuttgart in der Dieselkrise so wichtig?

Baden-Württembergs Landeshauptstadt ist wegen ihrer Verkehrsdichte und Kessellage besonders häufig von einer hohen Schadstoffbelastung betroffen. Stuttgart war die erste große Kommune, in der zeitlich begrenzte Fahrverbote für Phasen gerissener Grenzwerte geplant waren. Zuletzt ging Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) aber davon aus, dass Verbote eher unwahrscheinlich seien. Man setzt auf Nachrüstungen der Autobauer, die die NOx-Emissionen senken sollen - und parallel dazu auf eine bessere Steuerung der Verkehrsflüsse.

Was sagt die Justiz in Baden-Württemberg dazu?

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht befasste sich jüngst mit einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Diese wollte die Landesregierung zwingen, konsequenter gegen die Luftverschmutzung vorzugehen. Am liebsten alle, wenigstens jedoch die älteren Diesel der Euro-5-Norm sollten nach Ansicht der Klägerin aus den Zentren verschwinden. Der Richter ließ beim ersten Verhandlungstermin durchblicken, dass er die von der Autoindustrie favorisierten Nachrüstungen zumindest skeptisch sieht: Berechnungen zum Zeitplan und zur möglichen NOx-Reduktion seien "von maximalem Optimismus getragen". Eine Entscheidung wird in der kommenden Woche erwartet.

Warum ist das Stuttgarter Verfahren auch bundesweit relevant?

Das Gericht geht davon aus, den Fall noch im Juli entscheiden zu können. Direkt danach findet am 2. August ein "Nationales Forum Diesel" in Berlin statt, wo Bund, Länder und Autobranche "wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoff-Emissionen bei Diesel-Pkw" erreichen wollen. Eingeladen haben Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).

Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?

In Bayern sorgte eine ähnliche Fahrverbots-Diskussion - angetrieben auch vom Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) - dafür, dass BMW und Audi prinzipiell zusagten, die Hälfte ihrer Euro-5-Diesel in Deutschland nachzurüsten. "Wir wollen und müssen im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger die Stickstoffdioxid-Belastung in bayerischen Innenstädten schnellstmöglich reduzieren", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Darauf baut auch Grün-Schwarz in Stuttgart: Sollten Nachrüstungen älterer Diesel die gleiche Wirkung erzielen wie die unpopulären Fahrverbote, könne man diese fallen lassen, hieß es.

Und in den Millionenstädten Hamburg und Berlin?

In Hamburg soll in spätestens acht Jahren niemand mehr unter zu viel NOx leiden müssen - das ist das Ziel von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). Der Luftreinhalteplan sieht kein generelles Diesel-Verbot vor. Jedoch sollen Teile sehr belasteter Straßen für manche Fahrzeuge gesperrt werden. In Berlin fordert der Senat eine bundesweite Blaue Plakette, um ältere Dieselautos aus der Innenstadt zu verbannen. Weil die Plakette aber - auch wegen des Widerstands von Verkehrsminister Dobrindt - bisher nicht in Sicht ist, plant sie Tempo-30-Zonen auf Hauptstraßen und mehr grüne Wellen für Autofahrer.