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Beistand und Belästigung - wie Krankenkassen Grenzen übertreten

20.05.2014, 11:21

Berlin - Versicherte werden immer wieder von ihrer Krankenkasse behelligt. Das kann hilfreich sein - aber auch äußerst unangenehm, etwa wenn eine Krankschreibung angezweifelt wird. Datenschützer sind alarmiert.

Selbst Angela Merkel war aufgeschreckt. Zu Tausenden hatten sich Patienten über Krankenkassen beschwert, die ihnen ohne ausreichenden Grund Leistungen und Krankengeld verweigerten. "Wir gehen solchen Vorwürfen nach", versprach die Kanzlerin im Bundestagswahlkampf. Doch seither hat sich offenbar wenig geändert: Bei den Kassen sind die Grenzen zwischen Kümmern um die Versicherten und Drangsalieren fließend.

Auf die Probleme hingewiesen hatte damals die
Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD). Die Regierung schloss sogar schärfere Gesetze nicht aus. Entwarnung geben die Berater der UPD aber bis heute nicht. "Beschwerden zum Thema Krankengeld haben nicht nachgelassen", sagt Geschäftsführer Sebastian Schmidt-Kaehler. "Das ist eines der schwierigsten Beratungsthemen, weil es sehr angstbesetzt ist und weil es oft um die wirtschaftliche Existenz der Versicherten geht." Einen neuen Überblick will die UPD mit einem Jahresbericht Anfang Juli geben.


Dass manche Krankenkassen krankgeschriebene Versicherte weiterhin drängen, wieder zu arbeiten, bestätigt auch der zuständige Referatsleiter bei der Bundesdatenschutzbeauftragten, Bertram Raum. Wie gehen Kassen-Mitarbeiter dabei vor?

"Einige Kassen fragen ein- bis zweimal pro Woche telefonisch bei den Versicherten nach", sagt Raum. "Die meisten Krankenkassen schicken auch umfangreiche Selbstauskunftsbögen an die Versicherten, die den Eindruck entstehen lassen, dass die Zahlung des Krankengeldes von den umfangreichen Auskünften abhängt." Oft werde unzulässig nach Diagnosen und Befindlichkeit gefragt. Einige Kassen wollten Versicherte auch frühzeitig zu einer stationären Reha drängen. Denn dann zahlt die Rentenversicherung. In dem gesamten Bereich gebe es viele Eingaben.

Die Grünen-Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink sieht Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und die Aufsichten gefordert - also Bundesversicherungsamt und Landesregierungen. "Gerade für Menschen mit einer psychischen Erkrankung können Kontrollanrufe bestehende Krisen verschärfen", meint sie. Alarmierend sei, dass sogar von Telefonterror die Rede sei. Klein-Schmeink warnt, die schwarz-rote Gesundheitsreform könnte Wettbewerb und Sparkurs bei den Kassen noch anheizen.

Das Bundesversicherungsamt sieht momentan keine brennenden Probleme. Neue Beschwerden darüber, dass Kassen bei Arbeitsunfähigkeit unzulässig Daten erheben, gebe es nicht, sagt Sprecher Tobias Schmidt. Sein Amt, die Datenschutzbeauftragte und das Bundesgesundheitsministerium suchten aber grundsätzlich eine Lösung, um Kassen-Interessen und Datenschutz gerecht zu werden.

Wie oft die Kassen Grenzen überschreiten, ist unklar. Angesichts von 70 Millionen Versicherten erscheinen etwa 4800 Beschwerden zum Thema Krankengeld vom bisher einschlägigen UPD-Bericht für 2013 nicht als viel. Doch wieviele Betroffene beschweren sich überhaupt? Die Versicherungen lassen von ihrem Medizinischen Dienst jedes Jahr millionenfach Krankschreibungen überprüfen. Meist bestätigt dieser ärztliche Atteste - manchmal aber auch nicht.

Was können Betroffene tun? Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, rät, Versicherte sollten sich nie auf telefonische Absprachen einlassen: "Nur gegen eine schriftliche Ablehnung können sie Widerspruch einlegen." Und keineswegs sollte man den Job kündigen - "auch wenn die Kasse dies nahelegt".

Bei den Ausgaben für Krankengeld gab es über Jahre große Zuwächse - 2013 war es ein Plus von 6,1 Prozent auf rund 9,8 Milliarden Euro. Sparen mag aus Kassen-Sicht naheliegen. Viele Kassen scheinen auch sonst offensiver als früher gegenüber ihren Versicherten vorgehen zu wollen.

"Insgesamt gibt es eine Tendenz, dass Krankenkassen Versicherte an die Hand nehmen wollen", sagt Datenschützer Raum. Ihre Daten können den Kassen viel über die Versicherten verraten - doch sollen sie auf die Menschen zugehen, um sie zu gesünderem Leben oder konsequenten Therapien zu bewegen? "Sie dürfen die Daten der Versicherten dafür nur in begrenztem Umfang nutzen, und für die Versicherten ist das freiwillig", stellt Raum klar. "Es gibt aber immer wieder Fälle, bei denen Kassen die Grenzen überschreiten."