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"Die Wahrheit ist in Gefahr"

Heinz Rudolf Kunze gibt am 24. September ein Konzert im AMO in Magdeburg. Ein Interview mit dem Rock-Poeten.

07.04.2020, 15:01

Heinz Rudolf Kunze ist wortgewandter, intellektueller Poet und Rockmusiker. Hits wie "Dein ist mein ganzes Herz", "Lola" oder "Finden Sie Mabel" machten ihn berühmt. Im Februar ist sein neues Album "Der Wahrheit die Ehre" erschienen. Die Tour zu diesem Album musste er verschieben. Das Magdeburger Konzert im AMO wurde vom 24. Mai auf den 24. September 2020 verlegt. Für den Biber sprach Reinhard Franke mit ihm.
Biber: Herr Kunze, wofür steht der Albumtitel "Der Wahrheit die Ehre"?
Heinz Rudolf Kunze: Ich bin bestimmt nicht der Einzige, sondern vielen Menschen dürfte es so gehen, dass man den Eindruck hat, dass die Wahrheit in Gefahr ist und von allen Seiten bedroht wird. Von den tollwütigen Kreaturen, die in manchen Ländern an der Macht sind, von Fake-News, von Lügen und Propaganda, von Hysterien und Ideologien. Der vernünftige Austausch von Meinungen und das gemeinsame Ringen um die Wahrheit haben es heutzutage schwer, weil wir in einer hysterischen Zeit leben, in der man die Argumente anderer Menschen nicht mehr anhört, sondern sich in einem Brüllwettbewerb durchsetzen will. Wer am lautesten brüllt, hat gewonnen. Die Wahrheit ist überall in Gefahr.

Biber: Aber sind wir nicht ein Teil des Ganzen und machen da mit? Stichwort Social Media. Gibt es deswegen das Lied "Spießgesellen der Lüge"?
Kunze: Ganz genau. Wir alle sind Spießgesellen der Lüge. Da heißt es: "Wir sitzen alle im selben lecken Boot und feilschen, bis der Arzt kommt mit dem Tod". Wir sind Teil des dreckigen Zusammenhangs und nicht ohne Grund habe ich diesen Song geschrieben beim Warten in der Garderobe einer TV-Sendung.
Biber: Warum brennt auf dem Cover der neuen Platte Ihre Brille, die ja Ihr Markenzeichen ist?
Kunze: Weil mein Manager sich das so ausgedacht hat. Ich brenne auf jeden Fall nach wie vor, und davon habe ich mit diesem Album Zeugnis abgelegt. Es kracht lauter und entschlossener als auf den Vorgänger-Alben. Es ist die beste Platte seit "Korrekt" vor 20 Jahren.
Biber: Wirklich? Woran machen Sie das fest?
Kunze: Ja. Ich glaube, ich habe kein Album gemacht, das richtig scheiße ist. Sie waren immer ganz okay. Aber das neue ist besonders gut. Und das liegt an zwei Männern: an meinem Manager, der sagte "Gib Vollgas, mach nur noch, was du willst, und hör' auf mit der Schlagerkacke, wir biedern uns nicht mehr an",und an meinem neuen Produzenten Udo Rinklin, der die entsprechenden Fähigkeiten besitzt, das in die Tat umzusetzen. Er war meine größte Hilfe, ist ein mitspielender Produzent, der selbst viel Gitarre und Keyboard gespielt und die Songs in die richtige Richtung bewegt hat. Er ist der beste Produzent, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Und zwei Songs stammen von meinem alten Weggefährten Heiner Lürig. Zwei Songs hat er produziert, darunter die Single "Die Zeit ist reif", von dem ich hoffe, dass es eine Hymne des Jahrzehnts wird.
Biber: Es soll ein Album voller Hymnen sein. Was würden wohl Noel Gallagher oder Richard Ashcroft dazu sagen?
Kunze: (lacht) Sie würden sagen "Been there, done that", also "Haben wir eh schon gemacht". Im Ernst: Der Satz mit den Hymnen stammt nicht von mir, das hat jemand gesagt, dem das Album gefällt und der ganz tief in die verbale Kiste gegriffen hat. Es gibt nur drei Hymnen auf dem Album, nämlich "Mit welchem Recht", das sich so deutlich wie noch nie über die Flüchtlingsfrage Gedanken macht, "Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort" und "Die Zeit ist reif". Diese Songs fassen unsere Sorgen zusammen, alle anderen Lieder sind spezieller. Es befinden sich jedenfalls keine Schlagertitel auf der CD, die wir mit dem Schielen gemacht haben, damit wir in den Sendungen auch vorkommen. Ich hoffe, dass unser Mut belohnt wird und die deutschen Radiosender so ein Lied wie "Die Zeit ist reif" zulassen. Mein letzter Hit, der etwas zu sagen hatte, war "Aller Herren Länder" und das war 1990.
Biber: Ist das neue Album auch eine Art Befreiung?
Kunze: Schon. Ich hätte dieses Album schon jahrelang machen können, es war nur eine Frage der Selektion. Ich habe jetzt die Texte rausgesucht, die ein stimmiges Gesamtbild abgeben. Bei den letzten Platten war das nicht so, da waren ein, zwei Stücke dabei, die versucht haben, einen Fühler auszustrecken nach einer Welt, die uns eigentlich gar nicht behagt.
Biber: Früher wurden Sie als der "Oberlehrer der Musikszene" betitelt. Sind Sie ein Prediger?
Kunze: Inzwischen lese ich häufiger Pop-Poet oder Rock-Philosoph. Damit kann ich leben. Aber ich bin kein Prediger. Ich mache mich doch eher lustig über diese vielen Prediger, die rumlaufen und die alle glauben, sie hätten das Patentrezept zur Weltrettung. Doch das haben sie nicht.
Biber: Sie haben bisher rund 1700 veröffentliche literarische Texte geschrieben und 457 Lieder veröffentlicht. Ganz provokant gefragt: Geht's noch?
Kunze: Ich habe tausende literarische Texte geschrieben, aber nur ca. 1700 veröffentlicht. Es geht immer noch. Ich schreibe immer und überall.
Biber: Wo kommt das nur her?
Kunze: Es ist ein offensichtlich bisher nie versiegter Spieltrieb. Ich liebe es, mit Worten und Tönen zu basteln und mich überraschen zu lassen, was dabei rauskommt. Das ist im Laufe der Jahrzehnte sogar mehr geworden. Auf den ersten zwei, drei Platten hatte ich doppelt so viel Zeug, wie ich gebrauchen konnte, heute habe ich hundert Mal so viel Kram, wie ich gebrauchen kann.
Biber: Letzte Frage: Spielen Sie "Dein ist mein ganzes Herz" noch gerne?
Kunze: Gegenfrage: Hat Klaus Meine von den "Scorpions" noch Lust, jeden Abend zu pfeifen (bei "Wind Of Change", Anmerkung d. Redaktion)?