1. Startseite
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Förster: "Das ist hinterwäldlerisch"

Blindensprecherin Förster: "Das ist hinterwäldlerisch"

Jette Förster kann nicht sehen, aber sie hat die Barrieren, die sich blinden Menschen wie ihr in Stendal in den Weg stellen, im Visier.

Von Thomas Pusch 05.02.2016, 00:01

Stendal l Seit Anfang des Jahres ist Jette Förster die neue Leiterin der Stendaler Blindenberatungsstelle. Bereits seit Oktober ist sie von ihrem Vorgänger Jürgen Soisson eingearbeitet worden. So pendelt sie schon seit einigen Monaten regelmäßig zwischen Berlin und Stendal und wenn sie an den Bahnhof denkt, „wird mir angst und bange“.

Das fängt schon mit dem Leitstreifen auf dem Bahnsteig an. „Der ist zu tief verlegt, den kann ich mit meinem Blindenstock gar nicht lesen“, beklagte sie sich im Gespräch mit der Volksstimme. Wenn sie dann am Busbahnhof angelangt ist, muss sie jemanden fragen, welchen Bus sie vor sich hat. „Es gibt Busse, die auch nach außen sprechen“, sagt sie. Dass die Haltestellen im Businneren angesagt werden, hält sie allerdings für selbstverständlich. In Stendal ist das nicht der Fall, auch bislang kein Diskussionsthema gewesen. „Ich habe schon vor einem halben Jahr einen Brief an Stendalbus geschrieben und bis heute keine Antwort bekommen“, sagte der ehrenamtliche Leiter der Bezirksgruppe Nord des Blinden- und Sehbehindertenverbandes, Jürgen Soisson, gestern auf Anfrage der Volksstimme. Er hält die Ansagen auch für wichtig, nicht nur für Sehbehinderte, sondern auch für Ortsfremde.„Für eine Stadt von Stendals Größenordnung sind die fehlenden Ansagen hinterwäldlerisch“, spitzt Förster zu. Die gebe es selbst in Brandenburg, „und die kriegen sonst eigentlich nichts hin“. Der Stendalbus-Geschäftsführer war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Doch nicht nur Leitstreifen und stumme Busse bringen die 29-Jährige auf die Palme, sondern auch fehlerhafte Beschriftungen. „Da gibt es ein Hinweisschild auf dem Stendaler Bahnhof, auf dem in Braille, der Blindenschrift, links statt rechts steht und umgekehrt“, ärgert sie sich. Bahnsteig 7 findet sie ohnehin unmöglich, „da ist man ja schon fast in Möringen, mit Willkommenskultur hat das nichts zu tun.“

Und schließlich die Ampeln in Stendal, die hätten zwar die gelben Kästen, die mit einem akustischen Signal auf sich aufmerksam machen könnten, aber sie knacken nicht. „Diese Funktion ist abgestellt“, sagt sie. Die Ampeln selbst funktionieren allerdings, wie Stadtsprecher Klaus Ortmann mitteilte. Sie sind mit einer Blinden- und Sehbehindertenanforderung ausgerüstet, erst wenn sie betätigt werde, ertöne ein akustisches Signal. Eine andere Möglichkeit zur Blinden- und Sehbehindertenanforderung ist die Vibration am Taster. Hierbei wird der Taster normal bedient und die Hand muss am Taster bleiben.

Annemarie Kock aus Magdeburg ist blind und studiert an der FH. Sie musste sich gestern keine Gedanken über die Barrieren machen, denn sie wurde von zwei Mitarbeiterinnen der Bahnhofsmission am Bahnsteig abgeholt und zum Bus gebracht. Das funktioniert aber nur montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr.

Laut Soisson gibt es etwa 300 Sehbehinderte in Stendal.