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Schützenhilfe für Trump? Kanye West sorgt auch politisch für Aufsehen

Kanye West ist einer der größten Künstler seiner Generation. Ein hochbegabtes Rap-Genie, das mit psychischen Problemen kämpft. Für Aufsehen sorgte er zuletzt mit dem Wunsch, ins Weiße Haus einzuziehen - doch der Plan weckt einen Verdacht.

Von Benno Schwinghammer, dpa 15.08.2020, 09:21

New York (dpa) - Telluride ist eine kleine Stadt in Colorado. Seine etwas mehr als 2000 Einwohner schauen auf die Berge der Rocky Mountains, die den Ort malerisch überragen.

Anfang August wurde Telluride Schauplatz für ein Treffen, das in den USA für hochgezogene Augenbrauen sorgt. Jared Kushner, der Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump, traf sich dort mit Kanye West - einem Konkurrenten Trumps bei der Wahl im November. Doch ist er wirklich ein Konkurrent? Manche glauben eher, dass Rapper West dem Amtsinhaber Schützenhilfe für die Wiederwahl geben soll.

Es war am 4. Juli, dem US-Unabhängigkeitstag, als Kanye West einen Aufsehen erregenden Tweet absetzte: "Wir müssen jetzt das Versprechen Amerikas verwirklichen, indem wir Gott vertrauen, unsere Vision vereinen und unsere Zukunft gestalten. Ich kandidiere als Präsident der Vereinigten Staaten".

Durch die Welt läuft West, von seinen Abermillionen Fans nur bei seinem Vornamen Kanye gerufen, immer ein wenig wie ein überwältigter Junge. Ein Mann der Metaebene oder der Ironie ist er nicht. In der schillernden Reality-TV-Welt seiner Frau Kim Kardashian wirkte er nie Zuhause. Seine Heimat ist die Musik, deren Geschichte West seit mehr als 15 Jahren maßgeblich beeinflusst.

In seinem Debüt "The College Dropout" vermengte er 2004 Soulsamples und Gospel. Auf "Graduation" wagte er drei Jahre später den Schulterschluss mit Pop, House und Indierock. Mit "808s & Heartbreak" etablierte er 2008 den bis heute omnipräsenten Auto-Tune-Effekt, ehe der Gläubige West all dem 2013 mit "Yeezus" einen radikal-sperrigen Soundentwurf entgegensetzte.

Dabei machte der zigfache Grammy-Gewinner Schluss mit dem machohaften Männlichkeitsbild des HipHop und keinen Hehl daraus, dass er hochsensibel, voller Selbstzweifel und manchmal fragil sei. Auf seinem Album "Ye" von 2018 setzte West sich schließlich intensiv mit seiner bipolaren Störung auseinander. Vergangenes Jahr sprach er mit US-Talker David Letterman über seine Krankheit, die in Schüben komme. Bei einer bipolaren Störung kommt es zu extremen Schwankungen unter anderem der Stimmung und des Antriebs.

Einen neuen Schub sahen viele gekommen, als West nach seiner Präsidentschaftsankündigung einen ersten - und bislang einzigen - Wahlkampfauftritt abhielt. In South Carolina kam er in schusssicherer Weste auf die Bühne. Seine Ansprache mäanderte vor sich hin, schließlich brach West in Tränen aus, als er erzählte, sein Vater sei für eine Abtreibung gewesen: "Dann hätte es keinen Kanye West gegeben".

Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Kandidatur blieben: War das womöglich alles nur Werbung für Wests neues Album "Donda"? Und falls nicht: Würde er wirklich den nötigen Papierkram erledigen, um auf die Wahlzettel der 50 Bundesstaaten zu kommen? An diesem Punkt kommen Unterstützer ins Spiel, die man nicht erwarten würde: Leute mit Kontakten zu der Republikanischen Partei von Donald Trump.

In den vergangenen Wochen berichteten immer mehr Medien, von der "Washington Post" bis zum "Milwaukee Journal Sentinel", von Helfern Wests in den Bundesstaaten, von denen einige für Trumps Wahlkampagne arbeiteten, ein Mann sogar als Delegierter für den Parteitag der Republikaner. Und vor ein paar Tagen dann traf West den Trump-Schwiegersohn Kushner in Telluride. "Wir hatten eine allgemeine Diskussion eher über Politik", sagte Kushner dazu. Die beiden seien eben Freunde und einfach nur zur selben Zeit in Colorado gewesen.

West hat seine Nähe zu Trump immer wieder betont. Denkwürdig war sein Auftritt im präsidialen Oval Office 2018, bei dem er Trump pries und in seinem Redefluss Parallel-Universen und wasserstoffbetriebene Flugzeuge streifte. Dem Magazin "Forbes" aber sagte er vor einigen Wochen, dass er es nicht gut gefunden habe, dass Trump sich während Anti-Rassismus-Protesten in Washington kurzzeitig im Bunker des Weißen Hauses "versteckt" habe.

Dass Kanye West eine Rolle bei der Wahl am 3. November spielen kann, gilt alleine schon wegen einer Reihe verpasster Anmeldungsfristen in vielen Bundesstaaten als ausgeschlossen. Doch auch wenn die Kandidatur am Ende nur eine Randnotiz eines kuriosen Wahljahrs ist, bleibt ein Beigeschmack. Viele verdächtigen Unterstützer Trumps, seinen Herausforderer Joe Biden - der bei schwarzen Wählern besonders beliebt ist - mit Wests Kandidatur schaden zu wollen. Und West damit auch in einer labilen Phase für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.

Schon bald nach dem Wahlkampfauftritt in South Carolina offenbarte West in den Sozialen Medien schwere Angstzustände. Nachts überschlugen sich seine Tweets mit Verschwörungstheorien - unter anderem darüber, dass seine Frau Kim Kardashian ihn in eine Klinik einweisen wolle. Fast alle Nachrichten wurden später wieder gelöst.

Schließlich meldete sich auch Kardashian selbst zu Wort und es wirkte, als hätte jemand im Reality-TV kurz auf Pause gedrückt, um abseits der Hollywood-Blase einmal Klartext zu reden. West "ist ein brillanter, aber komplizierter Mensch, der neben dem Druck, Künstler und Schwarzer zu sein, den schmerzhaften Verlust seiner Mutter erlebt hat und mit dem Druck und der Isolation umgehen muss, die seine bipolare Störung verstärkt", schrieb sie und bat um Nachsicht. Diejenigen, die dem Musiker nahe stünden, wüssten, dass seine Worte nicht immer mit seinen Absichten übereinstimmten.

© dpa-infocom, dpa:200815-99-177470/2

Bericht New York Times

Tweet Kanye West

Bericht II New York Times

Milwaukee Journal Sentinel

Bericht Vice

Name eines West-Helfers als Wahlmann der Republikaner

Trump Tweet

Bericht CNN

Bericht Washington Post

Auftritt West in South Carolina

Kanye West und Donald Trump im Oval Office