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Glücksatlas Kein Land der Miesepeter: Deutsche auf Zufriedenheitshoch

Beim Befinden der Menschen im Land sprachen Wissenschaftler lange von einer Schere zwischen West und Ost. Inzwischen ist das Klischee vom Jammer-Ossi reif für die Mottenkiste, glaubt man dem neuen Glücksatlas.

Von Gisela Gross, dpa 05.11.2019, 14:39

Berlin (dpa) - Immer am Jammern? Das Glas eher halb leer als halb voll? Nicht doch: Zumindest laut einer neuen Untersuchung haben die Deutschen einen "Glückssprung" auf ein neues Allzeithoch hinter sich.

Zuvor seien die Zufriedenheitswerte zwei Jahre leicht gesunken, wie aus dem Glücksatlas 2019 hervorgeht, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Insgesamt sei seit zehn Jahren eine deutlich steigende Lebenszufriedenheit im Land zu beobachten, sagte der Professor für Finanzwirtschaft Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg, der den Report im Auftrag der Deutschen Post erstellt.

"Wir sind seit der Wiedervereinigung die zufriedensten Menschen, die jemals in diesem Land gelebt haben", betont Raffelhüschen. Er wisse, dass das angesichts der Debatten etwa über die Finanzkrise komisch klinge - "aber Pustekuchen". Auf einer Skala zwischen 0 und 10 bewerteten die Befragten ihre Zufriedenheit aktuell im Schnitt mit 7,14 Punkten - etwas mehr als im Vorjahr (7,05). Noch 2004 lag die Zufriedenheit bei 6,65 Punkten.

Die aktuelle Entwicklung geht laut Raffelhüschen vor allem auf die Angaben einer Gruppe zurück: "Es liegt an den Ossis." Nach der Wiedervereinigung seien die Menschen dort zwar durch ein "Tal der Tränen" gegangen, sie hätten aber deutlich aufgeholt. Das Lebensglück der Menschen im Osten erreicht laut Atlas mit 7,0 Punkten einen Höchstwert. Der Rückstand zum Westen ist den Autoren zufolge kaum mehr messbar: Er liegt bei 0,17 Punkten.

Was der Atlas misst, hat nichts mit zufälligem Glück wie einem Sechser im Lotto zu tun. Die Befragten werden vielmehr gebeten, ihren eigenen Mikrokosmos zu bewerten. Das, was die Menschen persönlich empfinden, müsse auch nicht den Zeitgeist-Darstellungen entsprechen, so Raffelhüschen. Deutschland sei kein Jammertal, vielmehr habe man in den vergangenen zehn Jahren im Prinzip ein "zweites Wirtschaftswunder" erlebt.

Die Gründe für die Zufriedenheit seien etwa Gesundheit (Sport ist in und selbst die Alten sind fit), Gemeinschaft (die Scheidungsraten etwa sind gesunken), Geld (es macht statistisch gesehen doch glücklich) und genetischer Disposition (dazu zählt Raffelhüschen Effekte, die nicht mit objektiven Gründen erklärbar sind).

Im Vergleich der deutschen Regionen sind Tabellenführer und -schlusslicht gegenüber 2018 unverändert: Die zufriedensten Menschen sieht der Glücksatlas in Schleswig-Holstein (7,44 Punkte), die unglücklichsten in Brandenburg (6,76), wo etwa die Arbeitslosigkeit vergleichsweise höher ist. Die Werte der übrigen Regionen sind dicht beieinander. Raffelhüschen sagte auf Nachfrage, im Grunde genommen seien wenige Gruppen unterscheidbar: Heraus rage Schleswig-Holstein - offenbar spiele die Nähe zum besonders glücklichen Dänemark eine Rolle. Dann folgten West- und schließlich Ostdeutschland.

Dass die Dänen im Europa-Vergleich Spitzenreiter sind, wird häufig mit dem dortigen Verständnis von Gemütlichkeit erklärt. Deutschland hingegen kommt nach Daten des Eurobarometers auf Platz 10 und liegt damit klar vor Nachbar Frankreich (17). Aber zum Beispiel auch Briten und Österreicher schneiden etwas zufriedener ab als die Deutschen.

Wie groß die Aussagekraft von Glücksranglisten ist - darüber kann man streiten. "Platzierungen von Nationen in verschiedenen Glücksrankings unterscheiden sich teilweise stark voneinander", erklärt die Psychologin Julia Krasko von der Ruhr-Uni Bochum auf dpa-Anfrage. Sie war nicht am Glücksatlas beteiligt. Dass manche Länder im einen Ranking gut, im nächsten schlechter abschneiden, habe auch mit verschiedenen Glückskonzepten zu tun, die den Befragungen zugrunde liegen. Alternativ zur Gesamtzufriedenheit mit dem Leben - wie im Glücksatlas - werde manchmal nach der Häufigkeit verschiedener Emotionen in einem bestimmten Zeitraum gefragt.

Krasko begrüßt zwar, dass der Glücksatlas das Thema für die interessierte Allgemeinbevölkerung aufbereitet und Glück als Kriterium für den gesellschaftlichen Erfolg ins Zentrum rückt – im Unterschied etwa zu wirtschaftlichen Kriterien. Sie verweist aber auch darauf, dass die Datengrundlage nicht zwangsläufig Schlussfolgerungen zu Ursache und Wirkung erlaube. Sind zum Beispiel zu lange Arbeitswege negativ fürs Lebensglück, wie es etwa im Vorjahr hieß? "Es wäre denkbar, dass glücklichere Menschen besser darin sind, etwas an solchen ungünstigen Umständen in ihrem Leben zu ändern", gibt Krasko zu bedenken.

Für die neunte Ausgabe des Reports wurden Daten einer großen Langzeitstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und aktuelle eigene Erhebungen mit insgesamt mehreren Tausend Befragten ausgewertet.

Glücksatlas

Gregor Fischer
Gregor Fischer
dpa
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dpa