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"Königskinder" Alex Capus erzählt von Liebe in Zeiten der Revolution

Die Liebe eines Kuhhirten und einer Bauerntochter zu Zeiten Ludwig XVI. - Was als Plot selbst für das TV-Vorabendprogramm zu kitschig wäre, entfaltet Alex Capus in "Königskinder" zu einer wunderbaren, intelligenten und zauberhaften Geschichte.

Von Renate Grimming, dpa 25.09.2018, 14:16

Berlin (dpa) - Max und Tina sind auf einem Alpenpass eingeschneit und stecken unwiederbringlich fest. In ihrem kleinen Toyota Corolla sehen sie die Schneetürme unaufhörlich wachsen, die Temperatur sinkt.

Um die bevorstehende lange Nacht etwas erträglicher zu machen, erzählt Max seiner langjährigen Partnerin eine Geschichte - natürlich eine wahre Geschichte. "Wobei es gar nicht so wichtig ist, ob eine Geschichte wahr ist oder nicht. Wichtig ist, dass sie stimmt", erklärt Max. Und entführt Tina in die Zeit, in der die Französische Revolution unmittelbar bevorsteht. Mit "Königskinder" ist dem Schweizer Alex Capus nach "Leon und Louise" erneut eine wunderbar hinreißende Liebesgeschichte gelungen, die mit vielen Details aus dem Alltagsleben die Jahrhunderte verknüpft.

Die Geschichte der "Königskinder" beginnt in einer Melkhütte auf eben dem verschneiten Alpenpass - oder stand die Hütte dort vielleicht gar nicht? Tina sieht nur Schneegestöber. Wir schreiben das Jahr 1779, zehn Jahre vor der Französischen Revolution. Und es ist die Geschichte von Jakob und Marie, die eine große Liebe verbindet. Beide leben im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten, als Zaungäste weitgehend unbehelligt von den dramatischen Verwerfungen des Jahrhunderts. Jakob ist ein einfacher, schweigsamer Kuhhirte im Schweizer Greyerzerland und als Einsiedler nicht sehr gelitten im Tal. Er verliebt sich ausgerechnet in Marie, die die Tochter des reichen Bauern im Ort ist.

Das kann natürlich - wie in einem richtigen Märchen - nicht gut gehen, zumindest nicht gleich. Jakob flüchtet vor dem erzürnten Bauern ins Militär. "Kitschiger geht’s ja nun wirklich nicht", wendet Tina im eingeschneiten Toyota ein, die mit ihrer Kritik an der Geschichte immer wieder die märchenhafte Idylle durchkreuzt. Schließlich verschlägt es Jakob als Kuhhirten an den Hof von Versailles, in dessen Nähe die Prinzessin eine landschaftliche Puppenstuben-Idylle unterhält. Viele Ereignisse später kommt schließlich auch Marie hinzu. Und die Französische Revolution nimmt ihren Lauf.

Mit seiner unvergleichlich plastischen, atmosphärischen und burlesken Beschreibung des einfachen Lebens, der kuriosen Zufälle und der dekadenten und lebensfernen Verhältnisse am Hof des Ludwig XVI. dürfte Capus dafür sorgen, dass so manchem Leser selbst die Gerüche von blühenden Alpenwiesen, aber auch Kot, Paraffin und Schweiß in Versailles während der Lektüre unwillkürlich in die Nase ziehen. Die Verdichtung der Atmosphäre gelingt Capus mit sprachlich unvergleichlicher Leichtigkeit.

Für den Leser sind die "Königskinder" zugleich ein Parcours-Ritt durch die Geschichte. Die Kriegsbegeisterung der Schweizer Söldner in dieser Zeit fehlt ebenso wenig wie die Sensation der ersten Fahrt in einem Ballon oder der Vulkanausbruch in Island 1783 und seine verheerenden Folgen. Wie schon in seinem 2011 erschienenen Roman "Leon und Louise" verknüpft der studierte Historiker und Philosoph Capus virtuos Jahrhundertereignisse.

Natürlich nimmt am Ende alles einen guten Ausgang, für Marie und Jakob, aber auch für Max und Tina, die mit ihren Zankereien und kurzweiligen Wortgefechten die Geschichte von Jakob und Marie immer wieder durchkreuzen und ihr damit überhaupt erst die nötige Würze verleihen. Auch sie sind eigentlich "Königskindern", die sich "in den großen Dingen des Lebens immer einig" sind. "Über die kleinen Dinge zankten sie sich unablässig, aber in den großen Dingen verstanden sie sich blind."

- Alex Capus: Königskinder. Hanser, 185 Seiten, 21,00 Euro, ISBN 978-3-446-26009-2.

Königskinder