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Clemens J. Setz legt nach Geschichten aus der Zwischenwelt

Der Österreicher Clemens J. Setz führt mit seinem Erzählband "Der Trost runder Dinge" Leser in eine Twilight Zone. Das Spiel mit dem Abgründigen ist nicht immer leichte Kost, aber sehr lesenswert.

Von Christof Bock, dpa 02.04.2019, 13:55
Der Erzählband «Der Trost runder Dinge». Foto: Suhrkamp Verlag
Der Erzählband «Der Trost runder Dinge». Foto: Suhrkamp Verlag Suhrkamp Verlag

Berlin (dpa) - Ein Schriftsteller mit dunkler Sorge vor dem Reisen wartet auf seinen Flug nach Kanada. Während er Stunde um Stunde von der Airline hingehalten wird, mustert er die mit ihm Wartenden.

Er zählt Brillen. Denkt: "Wer würde einen Flugzeugabsturz in Alaska überleben und wer nicht? Dieses Baby hatte zum Beispiel nicht die geringste Chance. Es empfände zwar vermutlich als einziger Passagier keinen Ekel vor Kannibalismus, aber ihm fehlten die körperlichen Kräfte und die Koordination, um jemandem das Wangenfleisch mit einer Nagelfeile abzutrennen." Clemens J. Setz, mit Mitte 30 schon Autor von gut einem Dutzend Büchern und vielfach preisgekrönt, hat einen Erzählband geschrieben, in dem der Abgrund immer in Reichweite ist.

In "Der Trost runder Dinge" taumeln die Helden an dunklen Mysterien entlang oder direkt hinein. Ein Mann fragt bei wildfremden Menschen freundlich um Einlass. Er nennt sich Peter Ulrichsdorfer und will sich angeblich das Heim seiner Kindheit angucken. Warum hat er einen Elektroschocker in der Tasche? Was will er? Stehlen? Morden? Streiche spielen? Wer wohnt da? Irgendwann wirken die Menschen, die den Mann gütig in ihre Gute Stube gelassen haben, bedrohlicher als er.

Spätestens seit seinem Roman "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" von 2015 ist der Österreicher Setz ein Liebling der Literaturkritik. Was der Grazer in seinem neuen Werk an manchen Stellen fast bis zur Schmerzgrenze treibt: Die Helden tasten ihren eher trostlosen Alltag wie ein Wissenschaftler ab und werden dabei Zeuge, wie das Normale und Harmlose immer bedrohlicher wird. Sie stehen plötzlich in einem Zwischenreich, wenn dies nicht sogar schon ihr Ausgangspunkt ist wie in der Erzählung "Kvaløya": Ein Tourist besucht Norwegen und hat einen seltsamen Begleiter, das Or. Das Maskottchen - recht sensibel - macht dem Mann durchaus Mühe. Was da kreucht, man erfährt es nicht.

Meisterhaft inszeniert Setz seine Twilight Zone in der Geschichte "Die Katze wohnt im Lalande'schen Himmel". Der diabolische Ernst bei der Sache, mit dem er die Biografie des Psychiatriepatienten Bernard Henri Conradi sowie dessen entsetzliche Entdeckung am Sternenhimmel erzählt und sie mit abgedruckten alten Archivfotos unterfüttert, ragt an das Genie der Fantastiker Leo Perutz und Jorge Luis Borges heran.

Sogwirkung hat die dunkel-absurde Geschichte "Otter Otter Otter". Ein Mann beginnt eine Liebesbeziehung mit einer blinden Frau und muss entdecken, dass jemand in deren Wohnung derbe Beschimpfungen wie "Sau" oder "Hure" an Schränke, Wände und Möbel gekritzelt hat. Wie soll er sich verhalten? Es ansprechen? Das, was Texte von Setz so anziehend macht, kommt hier voll zur Geltung: Geschichten, die keine Gute-Laune-Literatur sind, aber eben doch auch unglaublich komisch.

"Der Trost runder Dinge" ist ein verschrobenes, sehr lesenswertes Buch. Wer schreibt denn sonst im deutschsprachigen Raum noch solch wundervolle Sätze wie diese? "Ich legte mich neben das Bett auf den Boden und studierte die Staubflusen. "Lurch", hatte meine Mutter dazu gesagt. "Da unterm Bett, da hat's Lurch." Hätte sie, so wie ich es damals mit noch zu jungen Augen tat, einen Blick in ihre eigene Urne werfen können, sie hätte vielleicht denselben Satz gesagt."

- Clemens J. Setz: Der Trost runder Dinge, Suhrkamp Verlag, Berlin, 320 Seiten, 24,00 Euro, 978-3-518-42852-8.

Suhrkamp stellt das Buch vor