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Slapstick-Roman Goethe und Schiller als Kriminalisten

Natürlich sollten die deutschen Klassiker nicht als Säulenheilige behandelt werden. Aber wie mit Goethe und Schiller in dem Slapstick-Krimi "Durch Nacht und Wind" umgegangen wird, grenzt schon fast an üble Nachrede.

Von Sebastian Fischer, dpa 11.04.2017, 14:14

Berlin (dpa) - Stefan Lehnberg hat seinen Goethe ganz genau gelesen. Verinnerlicht, sozusagen. Und den Schiller gleich mit. Das ist überaus ehrenwert für den Comedy-Autor, der unter anderem Sketche für "Die Harald-Schmidt-Show" oder "Die dreisten Drei" geschrieben hat.

Nun konstruiert der 52-jährige Berliner mit "Durch Nacht und Wind" eine Verbrecher-Komödie rund um das klassische Dichter-Duo.

Denn aus der Literaturgeschichte weiß man: Gerade da klafft eine Lücke im Werk Goethes und Schillers. Keiner von beiden hat je einen Krimi geschrieben (sieht man von den spannenden Wendungen in ihren Dramen und Balladen einmal ab). Aber zugegeben: Ein Thriller-Plot ist auch nicht der vorrangige Anspruch der Weimarer Klassik.

Man könnte es aus heutiger Sicht also durchaus naheliegend finden, die Dichterfürsten und den Krimi-Hype miteinander zu verbinden. Und so lässt Lehnberg die beiden in seinem Slapstick-Roman als skurriles Ermittlerduo auftreten. Nur werden Goethe und Schiller dabei leider eher zu Epigonen der Münsteraner "Tatort"-Klamauknasen Thiel und Dr. Boerne. "Bey allen Teufeln!", wie es einmal heißt.

Doch der Reihe nach: "Durch Nacht und Wind" ist ein angeblicher Tatsachenbericht Schillers vom Ende des 18. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Geheimrat Goethe, der seinerzeit schon im Weimarer Schloss bei Herzog Carl August und seiner Mutter Anna Amalia ein- und ausgeht, ermittelt er im Todesfall des Großherzogs von N., der als Gast auf einem Jagdanwesen vor der Stadt residiert.

Dieser wird nämlich erwürgt in einer Truhe gefunden. Das Sonderbare ist: Sie ist verschlossen und der Schlüssel steckt von innen. Die großherzogliche Familie vermutet, dass alles mit einem ominösen Smaragdring zusammenhängen könnte, denn in der Folge stirbt auch jeder weitere Besitzer des Schmuckstücks. Ist es ein Fluch?

Aus dem, was als durchaus interessante Versuchsanordnung beginnt ("dass er sich selbst erwürgt hat, ist wohl kaum möglich"), pfeift jedoch alsbald die Luft raus. Die Handlung bekommt keinen rechten roten Faden. Sie verliert sich immer wieder in hektischen Nebensträngen, die sich später als Sackgassen herausstellen - und das ist nicht kriminalistisch gemeint, sondern erzählerisch.

Weil alles Schlag auf Schlag geht, kann Lehnberg allzu viele seiner Episoden nur stiefmütterlich behandeln. Ein Beispiel: Da erwischt Schiller einmal ein hohes Fieber, das ihn für drei Nächte ins Delirium schickt. Er wähnt sich dem Tode näher als dem Leben. Noch im selben Zehn-Zeilen-Absatz ist es "ebenso plötzlich verschwunden, wie es gekommen war". Solche ärgerlichen Einwürfe ohne Zusammenhang mit der Krimihandlung gibt es leider zuhauf in "Durch Nacht und Wind".

Dass der Stil von Lehnbergs Schiller an die damalige Sprache und die Rechtschreibung aus den originalen Briefen an Goethe angelehnt ist, kann man ja noch als gekünstelte Spielerei weglächeln. Doch leider schlägt hier Form den Inhalt.

Ermüdend sind vor allem die Verweise auf die Klassiker. Schon den Romantitel als Zitat aus Goethes "Erlkönig" sollte man dahingehend wohl als Warnung verstehen. Einmal lässt Lehnberg seinen Schiller in einer fragmentierten "Bürgschaft"-Anleihe dichten: "Zu Diederich, dem Schankwirt schritt / Johann, mit durstiger Kehle / Wein her, bey meiner Seele! / Und er soff, bis an Kopfweh er litt." Ein bisschen höheres literarisches Niveau als auf einer Dorfschenken-Familienfeier hätte man sich schon gewünscht.

Ein Lichtblick im Zitate-Dschungel ist allerdings das "Faust"'sche Hexeneinmaleins, das der pfiffige Goethe einmal zur Lösung eines kleinen Rätsels heranzieht. Hier zeigt Lehnberg, dass er durchaus den Witz der Klassiker in das Genre des Krimis übersetzen kann. Weitere solcher Einsprengel hätten der Satire gut getan.

Protagonisten und Handlung sind aus Versehen so sehr überzeichnet, dass sie nicht komisch, sondern beinah lächerlich wirken. Das haben die Klassiker - so sehr man sich auch an ihnen reiben sollte - wahrlich nicht verdient. Vielleicht können diejenigen etwas mit "Durch Nacht und Wind" anfangen, die auf Krimi-Ulk im Sinne von Thiel und Dr. Boerne stehen. Die sind ja auch nur Ermittler-Karikaturen.

- Stefan Lehnberg: Durch Nacht und Wind, Klett-Cotta, Stuttgart, 237 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-608-50376-0.

Verlag über "Durch Nacht und Wind"

Uni Frankfurt über das "Hexeneinmaleins"