1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buch
  6. >
  7. Innovativer Sklaverei-Roman: "Underground Railroad"

Abenteuerlicher Genremix Innovativer Sklaverei-Roman: "Underground Railroad"

Vor 150 Jahren wurde in den USA die Sklaverei abgeschafft, aber das Erbe von Rassismus und Ausbeutung lebt bis heute fort. Der vielfach preisgekrönte Roman "Underground Railroad" von Colson Whitehead stellt das Thema in ungewöhnlicher Weise dar.

Von Axel Knönagel, dpa 12.09.2017, 11:42

Berlin (dpa) - Ein Roman, der sich mit der Sklaverei in den USA befasst, ist eines der am höchsten gelobten Bücher der vergangenen Monate.

Ganz besondere Auszeichnungen wurde dem Roman "Underground Railroad" von Colson Whitehead zuteil: US-Präsident Barack Obama nahm das Buch auf seine offizielle Lektüreliste für den Sommer 2016. Im April dieses Jahres wurde der Roman mit dem renommierten Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Obamas Liste ist vielleicht die populärste Unterstützung für das Buch, aber noch gewichtiger ist das Lob der Literaturkritiker in der Pulitzer-Jury. Sie charakterisierten den Roman als "intelligente Mischung aus Realismus und Allegorie, die die Gewalt der Sklaverei und das Drama der Flucht in einem Mythos verbindet, der das Amerika von heute anspricht".

Die Krawalle von Charlottesville vor einigen Wochen und der Fortbestand des rassistischen Ku Klux Klan zeigen, wie wichtig das Thema Rassismus auch in der heutigen amerikanischen Gesellschaft noch sind. William Faulkner, der wohl bedeutendste Schriftsteller, den die Südstaaten bislang hervorgebracht haben, fasste die Problematik in einem berühmten Satz zusammen: "Im Süden ist die Vergangenheit nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen."

In genau dieser Vergangenheit hat der 47-jährige Colson Whitehead seinen neuesten Roman angesiedelt. Die Erzählung beginnt ganz klassisch auf einer Plantage in Georgia vor ungefähr 200 Jahren. Mit einem gnadenlosen Realismus beschreibt Whitehead, wie die Sklaven ausgebeutet, erniedrigt und schon für kleinste Regelüberschreitungen brutal bestraft werden.

Auf dieser Plantage lebt auch die junge Sklavin Cora. Ihr Leben ist ein täglicher Kampf ums Überleben, so dass sie eines Tages beschließt zu fliehen, so wie es einige Jahre zuvor ihrer Mutter Mabel gelungen war. Gemeinsam mit einem Freund gelingt ihr die Flucht von der Plantage, und sie beginnt eine abenteuerliche Reise in die Freiheit.

Wie viele entflohene Sklaven profitiert auch Cora von der Underground Railroad. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um ein Netzwerk von Gegnern der Sklaverei, die Tausenden entflohener Sklaven den Weg in die Freiheit der Nordstaaten ermöglichte. Whitehead nimmt den Namen des Netzwerks wörtlich und macht daraus eine unterirdische Schienenverbindung komplett mit Bahnhöfen und Fahrplänen.

Hier verlässt Whitehead den Realismus der ersten Kapitel und verändert die Erzählung in einen abenteuerlichen Genremix aus Realismus, Fantasy und allegorischer Fabel. Die Reise in den Norden wird für Cora zu einer abenteuerlichen Fahrt, auf der jeder Aufenthalt symbolische Bedeutung besitzt und so gestaltet ist, dass die Entfremdung der Menschen auch außerhalb der Plantagen nachempfunden werden kann.

Aber Whitehead lässt "Underground Railroad" auch realistisches Actiondrama sein. Natürlich ist Coras Weg in die Freiheit voller Gefahren. Ihr auf den Fersen sind Sklavenjäger, insbesondere der fanatische Ridgeway, der direkt aus einem Horrorroman stammen könnte, und sein Assistent, der eine Halskette aus menschlichen Ohren trägt.

Für den Rassisten Ridgeway ist das Aufspüren entlaufener Sklaven eine ganz normale Beschäftigung, die nicht nur seine persönliche Machtgier befriedigt, sondern in seinen Augen die gottgegebene Ordnung in Amerika sichert. Die Underground Railroad in Georgia zu finden und zu zerstören wird dem Sklavenjäger zur ideologisch zu rechtfertigen Mission im nationalen Interesse.

Das Trauma der Sklaverei wirkt auch 150 Jahre nach ihrer offiziellen Abschaffung immer noch nach. Rassismus ist immer noch alltägliche Realität. Schriftsteller wie Richard Wright, Ralph Ellison, Toni Morrison und nun auch Colson Whitehead haben aus diesem Thema große Literatur geschaffen.

Zahlreiche amerikanische Auszeichnungen wie den National Book Award und den Pulitzer-Preis hat Colsin Whitehead für "Underground Railroad" schon bekommen. Auch für den britischen Man-Booker-Preis als bester englischsprachiger Roman des vergangenen Jahres ist der Roman nominiert.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Carl Hanser Verlag, München, 318 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-446-25655-2

Verlagsseite zum Buch