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"Alles Lüge" Joachim Lottmann taumelt durch die Flüchtlingskrise

Joachim Lottmann schrieb zuletzt über das Leben als Schriftsteller oder Koks-Diäten. Jetzt wird er politisch. In seinem neuen Roman lässt er seinen Protagonisten über die Flüchtlingskrise sinnieren. Partys in Berlin und Wien gibt es natürlich immer noch.

Von Alexandra Stahl, dpa 28.03.2017, 14:45

Berlin (dpa) - Joachim Lottmann hat seinen neuen Roman Michel Houellebecq gewidmet. Houellebecq beschrieb zuletzt in seinem umstrittenen Roman "Unterwerfung" (2015) ein Frankreich unter muslimischer Herrschaft.

In Lottmanns Roman "Alles Lüge" regiert zwar noch Merkel, aber seine Hauptfigur schaut mit zunehmendem Unbehagen auf muslimische Zuwanderung. Was eigentlich eine Geschichte über eine Ehe sein soll, ist der politischste Roman, den Lottmann bislang geschrieben hat.

Johannes Lohmer - Lottmanns ewiger Protagonist, der irgendwie immer auch er selbst sein könnte - hat ein Problem. Er sagt meistens nicht das, was er wirklich denkt, weil er seine gutaussehende Frau Harriet nicht enttäuschen und einfach sehr gerne mit ihr schlafen möchte. Harriet nämlich - eine sehr linke Journalistin, die über die österreichische Innenpolitik berichtet - will niemals etwas Kritisches über den Islam hören, auch nicht wenn muslimische Minderjährige sie sexuell belästigen.

Für Lohmer wird es ein hartes Jahr - in Wien, wo er lebt, in Berlin, wo er auch gern lebt, und im Urlaub, in den er mit seiner Frau fahren muss. Er erzählt den Sommer 2015 bis 2016 nach - von Deutschen, die Flüchtlinge klatschend an Bahnhöfen empfangen, über die Silvesternacht in Köln, bei der Frauen massenhaft sexuell bedrängt werden, einen AfD-Parteitag oder die Bundespräsidentenwahl in Österreich bis zum Terroranschlag von Nizza.

Lohmer merkt immer wieder, dass er mit seinen Gedanken aneckt oder sie besser für sich behalten sollte, denn er will keinesfalls als rechts gelten - und sieht sich auch nicht so. "Ich hätte mich Wutbürger nennen können, wenn dieser Begriff nicht bereits für jene reserviert war, die das genaue Gegenteil meiner Gedanken im Kopf hatten."

Er glaubt halt nicht recht an Integration. "Ich verstehe jeden der Flüchtlinge, die jetzt aus Syrien kommen, dass sie lieber ein neues Syrien aufbauen wollen in Deutschland als dass sie so werden wollen wie die tote Population im Alten Europa, in Flensburg, Husum oder Hallstatt." Er hat nichts gegen seine neuen Mitbürger: "Insgesamt machten sie auf mich einen interessanteren und sympathischeren Eindruck als die österreichische Urbevölkerung, die ja bekanntlich recht hässlich, degeneriert, überaltert und verfettet daherkommt."

Zugleich ärgert er sich über die antisemitische und frauenfeindliche Einstellung der Muslime - jedenfalls ist er überzeugt, dass sie alle eine solche haben. Das liest sich dann so: "Die Juden waren für sie der Weltfeind, man musste sie ins Meer werfen." Oder so: "Antiautoritäre Erziehung, Frauenbewegung, Menschenrechtsbewegung - alles Fehlanzeige bei den reaktionären Knackern da."

Lottmann zeichnet mit diesem Roman unsere Gegenwart nach und zwar so scharf, dass man alles auch als große Satire lesen darf. Sein Protagonist jedenfalls erwähnt stolz, dass er extra seine Rolex daheim hat liegen lassen, bevor er im Flüchtlingsheim Essen verteilt und verklärt Berlin als Mekka der Freiheit, wenn er Tee trinkende türkische Männerbünde in Neukölln plötzlich als männliche Version des Cyndi Lauper Songs "Girls Just Wanna Have Fun" sieht.

Ein heiterer Grundplauderton, der die spitzfindigen Aussagen kontrastiert, ist das Prinzip Lottmann, über den die "Süddeutsche Zeitung" einmal schrieb: "Der große Lügner Joachim Lottmann sollte der Schriftsteller unseres Vertrauens sein."

Denn klar: der 60-Jährige schreibt auch hier permanent über Leute, die tatsächlich existieren und mit denen der Protagonist trinken geht - vom "Welt"-Feuilletonisten Jan Küveler bis zur Autorin Ronja von Rönne. Er gibt auch hier seinem Protagonisten im Grunde seine eigene Autobiografie mit. Und natürlich bleibt er doch immer in der Fiktion. Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe heißt bei ihm dann plötzlich Tschäpe, der Burg-Schauspieler Michael Maertens wird zu Mertens und in Neukölln läuft er eines Tages zum Hilsenbruchplatz - den es gar nicht gibt.

Fast schon platt mag man da den Romantitel "Alles Lüge" finden. Aber natürlich ist er nicht platt. Lottmann bleibt sich einfach treu.

- Joachim Lottmann: Alles Lüge. Kiepenheuer & Witsch, Köln, 352 Seiten, 12,00 Euro, ISBN 978-3-462-04964-0.

Alles Lüge