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Wuchtiger Psychothriller Karin Slaughters "Die gute Tochter"

Ein brutaler Überfall, bei dem die Mutter getötet wurde, beendet die Kindheit von Samantha und Charlotte. Erst Jahrzehnte später führt sie ein weiteres schweres Verbrechen wieder zusammen. "Die gute Tochter" heißt ein neuer Psycho-Thriller der Amerikanerin Karin Slaughter.

Von Frauke Kaberka, dpa 14.08.2017, 23:01

Hamburg (dpa) - "Zwei Jahre und eine lebenslange Zwietracht trennten Samantha von ihrer dreizehnjährigen kleinen Schwester..." Was die Amerikanerin Karin Slaughter (Jahrgang 1971) eingangs ihres Thrillers "Die gute Tochter" lapidar in den Raum stellt, zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman.

Ein roter Faden, an dem sich nicht nur die beiden Schwestern aufreiben, sondern auch der Leser. Besonders der Leser, denn er gerät umgehend in den Bann der Geschichte um die Familie Quinn und wird frontal mit einem Alptraum konfrontiert, der vor 28 Jahren begann.

Mutter Gamma - es ist natürlich der Spitzname der Physikerin - und ihre Töchter Samantha und Charlotte, genannt Charlie, müssen ausbaden, was Vater Rusty ihnen eingebrockt hat. Der unkonventionelle Strafverteidiger, dem besonders aussichtslose Fälle und auf die schiefe Bahn geratene Loser am Herzen liegen und der deshalb von den meisten Bewohnern des Südstaatenstädtchens Pikeville gehasst wird, ist wieder einmal ins Fadenkreuz aufgebrachter Leute geraten - nur, dass die dieses Mal zu der von ihm bevorzugten Klientel gehören. Kurz: Ein geplanter Anschlag auf Rusty scheitert, weil der Vater wie immer nicht auftaucht.

Stattdessen werden Gamma und Töchter zu Hause überfallen, die Mutter dabei getötet, Sam bestialisch misshandelt und lebendig begraben. Und Charlie? Sam hatte sie zuvor unentwegt angefleht: "Lauf, Charlie, lauf!" Charlie läuft - und entkommt schließlich, nicht ohne Blessuren. Die sind nicht nur körperlich. Charlie ist psychisch schwer geschädigt und findet nur mit Mühe in ein normales Leben zurück.

28 Jahre später: Charlie arbeitet genau wie ihr Vater als Strafverteidigerin. Die beiden verbindet eine Art Hassliebe miteinander. Auch ihr Verhältnis zu Sam, die damals mit übermenschlichem Willen überlebt hat und nun sehr erfolgreich als Anwältin für Patentrecht in New York praktiziert, ist problematisch. Seit Jahren haben die Schwestern nicht mehr miteinander gesprochen. Eine Schießerei an einer Schule in Pikeville, in die Charlie versehentlich gerät und Rusty auf den Plan ruft, bringt alle wieder zusammen - und wieder auseinander...

Die Geschichte um Samantha und "die gute Tochter" Charlie hält natürlich viel mehr bereit. Erst nach und nach werden Geheimnisse entschlüsselt, Verbindungen zwischen Menschen hergestellt, die nicht zu vermuten waren, Hintergründe offengelegt, die in neue Richtungen weisen, und vor allem Verbrechen aufgedeckt, die ihre Wurzeln nicht nur in der menschlichen Natur, sondern in gesellschaftlichen Umständen haben. Das alles schildert Slaughter mit unglaublicher Wucht und einem Einfühlungsvermögen, das jedem Psychotherapeuten zu wünschen wäre.

Karin Slaughters Werke wurden bislang in 32 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 35 Millionen Mal verkauft. Wer zumindest ein paar davon kennt, weiß, dass sie nicht zimperlich bei der Beschreibung von Gewalt ist. Detailliert schildert sie auch jetzt wieder Prozesse, bei denen Menschen getötet oder misshandelt werden. Die Brutalität wird durch ihre plastische Darstellung körperlich spürbar, das Leiden überträgt sich auf den Leser. Es ist sicher eine Frage des Geschmacks, ob solche drastischen Bilder sein müssen, um die ohnehin schon hohe Spannung weiter hochzuschrauben.

Aber es sind nicht nur die sichtbaren Vorgänge und Handlungen von guten oder schlechten Individuen, die die in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) lebende Autorin penibel genau beschreibt. Es sind vor allem die inneren, die seelischen Abläufe, die überzeugen. Nicht zuletzt fasziniert auch wieder der distanzierte Blick Slaughters auf die Gesellschaft der Kleinstadt Pikeville (unweit von Atlanta), obwohl er doch von innen herauskommt. Ja, sie kennt sie gut, die Menschen in ihrer Heimat, ebenso die Funktionsweise von Administration, Behörden (insbesondere der Polizei), Unternehmen und Organisationen. Das weiß man längst aus ihren Serien ums Grant County, um Georgia und um ihren Ermittler Will Trent.

Die aktuelle Geschichte um die Quinns ist eine Südstaaten-Saga der besonderen Art, von der ihr nicht weniger erfolgreiche Kollege James Patterson sagt, sie sei "ihr ambitioniertester, ihr emotionalster, ihr bester Roman. Zumindest bis heute".

- Karin Slaughter: Die gute Tochter, Harper Collins Verlag, Hamburg, 608 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-9596-7110-1.

Die gute Tochter