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Erschreckende DystopieLiteratur in Flammen: "Manaraga"

In seinem neuen Roman erzählt der russische Autor Vladimir Sorokin von einer surrealen Welt ohne Bücher. Diese dienen nur noch als Futter für dekadente Grillfeste.

Von Sibylle Peine, dpa 11.12.2018, 11:13

Berlin (dpa) - Die Welt im Jahr 2037: Das Gutenberg-Zeitalter ist endgültig Geschichte. Druckereien drucken keine Bücher mehr. Diese sind komplett aus dem Alltagsleben der Menschen verschwunden, allenfalls dienen sie noch als Brennmaterial.

Eine dekadente Nachkriegsgesellschaft hat Gefallen an Book'n'Grill-Events gefunden: Grillspezialitäten brutzeln über kostbaren Erstausgaben, Klassikern der Weltliteratur, die aus Bibliotheken entwendet wurden: ein saftiges Rumpsteak über James Joyces "Finnegan’s Wake", eine Hammelschulter auf "Don Quijote", Nürnberger Würstchen auf "Der Untertan".

Der Chefkoch Géza ist der Star der Szene. Er hat die kulinarische Bücherverbrennung zur Meisterschaft gebracht und jettet von einem elitären Grill-Event zum nächsten. In Vladmimir Sorokins (63) Roman "Manaraga" geht die abendländische Buchkultur im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen auf. Diese ebenso brillante wie erschreckende Dystopie ist einerseits ein zynischer Abgesang auf die gute alte Gutenberg-Ära, doch dann auch ein großartiges kulinarisches Fest, eine Hommage an die hohe Kochkunst.

Denn schon immer war der russische Autor und Hobbykoch vom Essen fasziniert: "Für mich sind das Kochen und das Essen Kunstwerke", sagte Sorokin einmal in einem Interview. Bereits seine Novelle "Pferdesuppe" (2017) drehte sich fast ausschließlich ums Essen, es wurde darin fast wie ein erotischer Akt zelebriert. In "Manaraga" ist Edelkoch Géza im Auftrag neureicher Oligarchen und anderer Kriegsgewinnler unterwegs, die in einem refeudalisierten Europa den Ton angeben.

Der alte Kontinent, so erfährt der Leser en passant, wurde von Kriegen und islamischen Revolutionen durchgeschüttelt und lebt jetzt in einer Art aufgeklärtem Mittelalter. Heimliche Grill-Events auf Klassikern der Weltliteratur sind der letzte Kick einer nach schrillen Reizen gierenden Schickeria. Da die Bücher geraubt wurden, sind diese Literatur-Partys allerdings streng verboten, die Strafen empfindlich. Gézas Job ist lukrativ, aber auch gefährlich. Zusammen mit einigen anderen Edelköchen gehört er zur Großen Küche, sozusagen die Super League der Fünf-Sterne-Köche.

Géza ist spezialisiert auf russische Literatur. Zweitrangige Autoren - wie etwa Gorki - lehnt er ab. Dagegen Tschechow: "Auf Tschechow grille ich für mein Leben gerne. Ein Autor der leichten Muse. Zu seiner Zeit ein Massenautor, erschien er in Ausgaben mittlerer Dicke auf billigem Papier. Damit gibt es keine Probleme, es brennt weder zu langsam noch zu schnell. Für Fleischgerichte geeignet."

Was zählt, ist nicht mehr die literarische Qualität, sondern nur noch die Verwertbarkeit des Papiers: "Die wahren Meister lieben es, auf Dünndruckausgaben zu grillen, denn das hat einen ganz eigenen Verlauf. Es kommt darauf an, das optimale Tempo zu finden, in dem man die Seiten abbrennt; man findet es rein intuitiv. Die gewagteste Art zu lesen!" Sinnlichkeit entsteht hier nicht durch Sprache, sondern durch Geruch: "Deutsche Märchenbücher beispielsweise riechen stets nach Vanille, Jules-Verne-Romane nach Moschus, Kafka riecht nach Eichenbrett und Blei."

Doch die mafiös organisierte Edelriege der Köche ist in Gefahr. Eines Tages tauchen Widersacher auf, die millionenfach geklonte Erstausgaben drucken, eine billige und komplett legale Konkurrenz zu den geraubten Originalen. Géza macht sich auf zu dem geheimnisvollen Labor der Feinde in der Bergfestung Manaraga, es wird eine abenteuerliche Reise.

Natürlich könnte man in dem Buch ein politisches Statement Sorokins sehen. Schließlich wurden die Bücher des regimekritischen Schriftstellers einst von einer patriotischen russischen Jugendorganisation verbrannt. Auf jeden Fall aber zeigt "Manaraga" einen höchst selbstironischen Umgang mit seiner Rolle als Schriftsteller und der Tradition, auf der sie fußt. Ganz nebenbei enthält das Buch eine Fülle an literarischen Anspielungen, Zitaten und Querverweisen. Doch selbst wenn man diese nicht zu deuten weiß, ist es eine unterhaltsame Groteske.

- Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 256 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 978-3-462-05126-1.

Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs