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Suche nach dem Glück Marion Poschmanns kluger Japan-Roman "Die Kieferninseln"

Ein Kopfkissenbuch für zivilisationsmüde Europäer, eine Pilgerfahrt in die Provinzen der Seele. Marion Poschmann legt einen Reiseroman vor, der ganz mühelos große Themen verhandelt.

Von Johannes von der Gathen, dpa 19.09.2017, 14:33
Die Autorin Marion Poschmann hat es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Foto: Jan Woitas
Die Autorin Marion Poschmann hat es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Foto: Jan Woitas dpa-Zentralbild

Berlin (dpa) - Es ist nur ein läppischer Traum, der den Mann aus der Bahn wirft. Gilbert Silvester fällt aus allen Wolken, weil er glaubt, seine Frau würde ihn betrügen. Also packt er seine Koffer, verabschiedet sich aus seinem Alltag, lässt Routinen und Sicherheiten hinter sich und fliegt nach Tokio.

Ins Unbekannte, in ein geheimnisvolles Land am Ende der Welt. So beginnen Bücher, die man nicht mehr aus der Hand legen möchte. Es folgt eine Suche nach dem Glück, die sich auf den Leser unmittelbar überträgt.

Die 1969 in Essen geborene Marion Poschmann hat es mit ihrem neuen Roman "Die Kieferninseln" völlig zu Recht auf die Shortlist des Deutschen Buchpreis geschafft. Der in Berlin lebenden Prosaautorin ("Die Sonnenposition"), die sich auch als Lyrikerin einen Namen gemacht hat, gelingt das Kunststück, eine ganz konkrete Aussteigergeschichte zu erzählen, in der sich zugleich eine spirituelle Pilgerfahrt verbirgt, die sich um die großen, existenziellen Themen dreht. Ihr flirrender Text scheint immer ein wenig über dem Boden zu schweben: eine Prosa der feinen Nuancen, getragen von großer sprachlicher Schönheit.

Poschmanns wackliger Held Gilbert kommt aus prekären Verhältnissen, ein mäßig ehrgeiziger, etwas altmodischer Kulturwissenschaftler, der sich von einem Forschungsauftrag zum nächsten hangelt. "Bartmode und Gottesbild" lautet sein nur auf den ersten Blick abseitig wirkendes Schwerpunktthema. Im Laufe seiner Reise reflektiert der Akademiker über Gottes Rauschebart bei Michelangelo, den fehlenden Bart des Papstes und die zumeist bartlosen Japaner. Seiner angeblich untreuen Ehefrau Mathilda, einer Lehrerin, schreibt er kleine Briefe von unterwegs - so nähert er sich ihr in der Ferne langsam wieder an. War der Betrugsvorwurf nur ein Vorwand, um den alltäglichen Sachzwängen zu entfliehen?

Im sehr aufgeräumten Japan staunt Gilbert über das Essen, gewöhnt sich an den grünen Tee, der immer wieder seine Farbe wechselt, und die puristisch eingerichteten Hotelzimmer. Gleich zu Beginn seiner Reise trifft er auf einem Bahnsteig den lebensmüden Studenten Yosa Tamagotchi. Gilbert kann das Schlimmste verhindern und nimmt den jungen Mann, der ein zierliches Ziegenbärtchen trägt, mit zu sich ins Hotel. Die beiden beschließen, gemeinsam die Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Wenn es denn unbedingt Selbstmord sein soll, so Gilbert, dann wird sich da schon ein spektakulärer, dem Anlass angemessener Schauplatz finden.

Bald verirren sich beide im berüchtigten Selbstmörderwald Aokigahara, verbringen eine Nacht im unheimlichen Baumlabyrinth, kommen am folgenden Tag mühsam wieder heraus, aber der Busfahrer hält sie für Geister und lässt sie an der Straße stehen. Ein feiner Humor zieht sich durch diesen Trip in das "Teeland" Japan, wo alle Dinge von einem Schleier umgeben sind. Ganz anders als in Deutschland, dem "Kaffeeland", wo alles klar und gut ausgeleuchtet sein muss.

Schöne Wendungen gibt es bei Poschmann zuhauf: Da fällt das Haar "schillerlockenhaft" vom Kinn herab, oder es gibt eine "Phase immobilienmaklerhafter Aktivität".

Gilberts Ziel ist schließlich der Küstenort Matsushima. Er möchte in die sagenhafte Bucht der Kieferninseln, er will das Mondlicht auf den Zweigen der Bäume betrachten. Sein spiritueller Reiseführer ist der Haiku-Dichter Matsuo Basho (1644-1694), der den wilden Norden Japans als Pilger zu Fuß bereist hat. Gilbert und Yosa schreiben selbst dreizeilige Haikus, Gelegenheitsnotate, so zart und flüchtig wie Kirschblüten. So kommt einem auch dieser Roman vor, der scheinbar mühelos von der Verwandlung aller Dinge erzählt.

- Marion Poschmann, Die Kieferninseln, Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 165 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3518427606.

"Die Kieferninseln" bei Suhrkamp