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Historie Mit Sprengstoff zu Hitler: Neue Stauffenberg-Biografie

Zum 75. Jahrestag des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 ist eine neue Biografie des Attentäters Stauffenberg erschienen. Darin wirft Thomas Karlauf eine differenziert-kritische Sicht auch auf den Kreis der Verschwörer.

Von Wilfried Mommert, dpa 12.03.2019, 10:12
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Foto: dpa
Der deutsche Offizier und spätere Widerstandskämpfer Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Foto: dpa dpa

Berlin (dpa) - Seit Anfang Juli 1944 war der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg mehrmals mit seiner Aktentasche voll Sprengstoff bei Hitler am Obersalzberg oder in der Wolfsschanze in Ostpreußen 100 Kilometer von der russischen Front entfernt.

Immer gab es Hindernisse, er wurde von zögernden Mitverschwörern "zurückgepfiffen", unter anderem, weil der SS-Führer Heinrich Himmler und/oder Reichsmarschall Hermann Göring wider Erwarten nicht mit anwesend waren, die ebenfalls beseitigt werden sollten.

Erst am 20. Juli zündete die Bombe und dann auch nur zur Hälfte mit einem der beiden mitgebrachten Sprengsätze. Den anderen hatte der kriegsverletzte Stauffenberg mit nur einer Hand und nur drei Fingern mit einer Flachzange nicht mehr scharf machen können.

So schildert der Autor Thomas Karlauf die dramatischen Ereignisse um das Attentat in seiner neuen Biografie zum 75. Jahrestag des Attentats mit einer differenzierten und teilweise auch kritischen Sicht auf die Verschwörer.

Sprengstoffexperten stimmten heute darin überein, schreibt Karlauf, dass bei einer doppelten Ladung keiner der Anwesenden in Hitlers Baracke im "Führerhauptquartier" überlebt hätte. Fünf der 24 Anwesenden wurden tödlich verletzt, andere schwer, Hitler selbst nur leicht, auch wenn sein Trommelfell in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Auch in Stauffenbergs Doppelfunktion als Attentäter und Organisator und damit wichtiger "Generalstabsplaner" des Staatsstreiches sehen die Forscher eine große Schwachstelle in der gesamten Planung. Aber am Ende scheiterte der Putsch nach Darstellung Karlaufs nicht an entschiedener Gegenwehr des NS-Regimes, sondern am Widerstand beziehungsweise Richtungsstreit in den eigenen Reihen mit entsprechenden Zeitverzögerungen, auch zwischen der Militäropposition und den zivilen Widerstandsgruppen um Carl Goerdeler und anderen Protagonisten. Das schildert Karlauf mit vielen Details.

Goerdeler zum Beispiel setzte auf eine Ablösung Hitlers durch die Wehrmachtsführung. Andererseits hatte es immer wieder Überlegungen gegeben, wie Hitler zu beseitigen und eben auch zu töten sei.

Die neue Biografie geht auch ausführlich auf die anfängliche Hitler-Gefolgschaft und Begeisterung Stauffenbergs und anderer Verschwörer über die ersten Kriegserfolge ein. Viel Neues offenbart Karlauf allerdings nicht, die NS-Vergangenheit vieler Widerstandskämpfer, die in den ersten Nachkriegsjahren in der Bundesrepublik zunächst kaum eine Rolle spielte, wird auch in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im Berliner Bendlerblock nicht verschwiegen und wurde spätestens zum 60. Jahrestag des Attentats 2004 thematisiert. Die Ausstellung in der Gedenkstätte mit zahlreichen Dokumenten ist übrigens nach wie vor eine ausgezeichnete "Kurzfassung" mancher langatmiger Bücher über den 20. Juli 1944 und vor allem immer wieder Schulklassen ans Herz zu legen, auch wenn sie vielleicht etwas lebendiger gestaltet werden könnte.

Im Bendlerblock hatte auch der frühere Bundespräsident Joachim Gauck am 70. Jahrestag des Attentats daran erinnert, dass es noch in den 50er Jahren in der jungen Bundesrepublik viele gegeben habe, die die Männer um Stauffenberg weiterhin als Landesverräter diffamierten. "Früher Angepasste schwangen sich zu einem ungerechten und verleumderischen Urteil auf über jene, die mit ihrem Einsatz gegen die Diktatur mit dem Leben bezahlt haben."

Beim Verschwörerkreis stand seinerzeit auch die Streitfrage im Mittelpunkt, ob der "Tyrannenmord" im 20. Jahrhundert überhaupt gerechtfertigt sei und ob die deutsche Bevölkerung trotz schwerer Kriegsleiden dahinterstünde. Stauffenberg war aber zu der festen Überzeugung gekommen, so Karlauf, dass ein Regime erst einmal gestürzt werden musste, bevor man ein besseres an seine Stelle setzen konnte.

Karlauf schildert ausführlich die Überlegungen der Verschwörer, was für ein "neues Deutschland" nach Hitler eigentlich geplant war. In den vorbereiteten Aufrufen, die beim Staatsstreich verbreitet werden sollten, war von einer "neuen Ordnung" die Rede, mit Recht und Gerechtigkeit für alle Deutschen, der "Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts" als wichtigste Aufgabe des neuen Staates, allerdings auch von "naturgegebenen Rängen". Stauffenberg hatte früher die Überzeugung geäußert, dass die Deutschen den geschichtlichen Auftrag hätten, Europa zu führen, um das abendländische Erbe zu retten.

- Thomas Karlauf: Stauffenberg - Porträt eines Attentäters, Blessing Verlag, München, 368 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-89667-411-1.

Stauffenberg - Porträt eines Attentäters