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Sehnsucht nach Ruhe Monika Marons bissiger Roman "Munin oder Chaos im Kopf"

Der Alltag als Ausnahmezustand: In ihrem neuen Roman lässt Monika Maron einen Kleinkrieg unter Nachbarn lustvoll eskalieren. Aber der Blick auf unsere fragile Gegenwart kommt nicht ohne pauschale Polemik aus.

Von Johannes von der Gathen, dpa 06.03.2018, 10:38

Berlin (dpa) - Wir leben in unruhigen, gereizten Zeiten, eingeklemmt zwischen unserem täglichen Kleinklein, dem Trommelfeuer der Medien und den allabendlichen Horrormeldungen über endlose Bürgerkriege und Massaker rund um den Globus.

Gefühlt ist die Lage prekär, und vielleicht stecken wir wirklich in Europa schon wieder in einer neuen Vorkriegszeit.

Für Mina Wolf, Protagonistin des neuen Romans "Munin oder Chaos im Kopf" von Monika Maron, stehen die Zeichen auf Sturm: "Die Menschen waren gereizter und je nach Naturell fatalistisch oder aggressiv geworden", konstatiert die alleinlebende Journalistin, die mit einer Festschrift über den Dreißigjährigen Krieg beschäftigt ist. In ihrer ansonsten beschaulichen Berliner Wohnstraße treibt eine geistig derangierte Möchtegern-Sängerin die Leute in den Wahnsinn.

Die Frau steht den lieben langen Tag auf dem Balkon und singt so gotterbärmlich schlecht, dass die ruhebedürftige Mina Wolf zur Nachtarbeiterin wird. Wenn es dunkel wird, versenkt sie sich in die Gräuel des lange zurückliegenden Krieges und entdeckt Parallelen zu unserer Gegenwart. Trost findet die lärmgeschädigte Schreiberin bei einer einbeinigen Krähe, die sie mit Brotkrümeln anlockt und auf den Namen "Munin" tauft, nach einem Raben aus der nordischen Mythologie. Mit diesem komischen Vogel kann Frau Wolf über Gott und die Welt diskutieren, aber seit wann können Krähen eigentlich sprechen?

Die 1941 in Berlin geborene Monika Maron ("Flugasche", "Endmoränen") wirft einen polemischen Blick auf unsere aufgekratzte Gegenwart. Wenn es um die konkreten Dinge geht, trifft ihr Spott ins Schwarze. Da eskaliert eine Anwohner-Versammlung unter dem Vorsitz der übereifrigen Redaktionsassistentin Frau Wedemeyer zum nachbarschaftlichen Kleinkrieg. Reifen werden zerstochen, ein schimpfender Taxifahrer mit Deutschlandfahne wird mit leisem Hohn überzogen. Der ganz normale Wahnsinn unseres Großstadt-Alltags, treffend auf den Punkt gebracht.

Daneben aber zieht sich ein diffuser Alarmismus durch diesen schmalen Roman: Die Protagonistin fühlt sich verunsichert, "seit Millionen fremder junger Männer ins Land geströmt waren". Die Flüchtlinge dienen als Menetekel künftigen Unglücks: "als sei mit den Millionen Menschen, die in den letzten Jahren aus fremden Kontinenten eingewandert waren, auch der Krieg eingewandert, dem sie entflohen waren".

Mit diesen pauschalen Aussagen bekommt Marons Roman einen demagogischen Anstrich, der ihr differenziertes Psychogramm einer leidgeprüften Großstädterin konterkariert. Als die Lage in der Straße eskaliert, sind es wieder zwei Fremde - "südländischer Typ" - die das Unheil bringen.

Eigentlich schade, dass Monika Maron das kompliziert-fragile Gefühlschaos ihrer Protagonistin, die sich nur nach Ruhe sehnt, mit diesen platten Breitseiten verdüstert. Ihre Heldin findet am Ende Trost an einem Sommertag am See und bei der Lektüre von Annette von Droste-Hülshoff - in Gesellschaft einer Krähe namens Munin.

- Monika Maron: Munin oder Chaos im Kopf, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 222 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-10-048840-4.

Munin oder Chaos im Kopf