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Gesellschaft Unbequem gegen Alltagsrassismus: "Why we matter"

Die Mutter trägt noch den Namen des Sklavenhalters ihrer Ahnen, der Opa ist rechtsextrem organisiert. Emilia Roig wächst in einer rassistischen Familie auf und schreibt über Unterdrückung im Alltag.

Von Gerd Roth, dpa 16.02.2021, 11:23
Jens Kalaene
Jens Kalaene dpa-Zentralbild

Berlin (dpa) - Emilia Roig weiß, wovon sie spricht. "Ich bin mit rassistischen Diskursen großgeworden." Die Berliner Soziologin und Autorin hat sich ein paar Monate lang hingesetzt, um ihre Erfahrungen und Analysen in einem Buch zusammenzufassen.

Mit "Why we matter - Ende der Unterdrückung" blickt die 37-Jährige in zahlreiche Bereiche, die bis heute von offenem Rassismus, dürftig verkappter Unterdrückung oder unbewussten Mustern der Diskriminierung geprägt sind. Die knapp 400 Seiten haben viel Potenzial, die Augen von weißen, privilegierten Menschen zu öffnen.

Die in Frankreich geborene Roig ist in einer rassistischen Familie groß geworden. Ihre Mutter stammt aus dem Überseedepartement Martinique. Sie trägt noch den Namen des Sklavenhalters ihrer Vorfahren. Die Familie des Vaters genoss als Pieds-noirs in Algerien Sonderrechte. Der Großvater, glühender Anhänger von Frankreichs Rechtsaußen-Partei Front National, war offener Rassist.

So weiß Roig sehr genau, dass es "nie bequem" ist, sich mit Familie oder nahen Menschen über solch schwierigen gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. "Aber wir tragen da alle eine Verantwortung."

"Die vielen Widersprüche, Ambivalenzen und Konflikte in meiner Familie haben dazu geführt, dass ich einen sehr nuancierten Blick habe auf Unterdrückung und das aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten kann", sagt Roig im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Neben persönlicher Erfahrung kann die Gründerin des Berliner Center for Intersectional Justice auf berufliche Expertise zurückgreifen. "Dieses Buch zu schreiben, war für mich ein sehr natürlicher, einfacher Prozess."

"Why we matter" knüpft an die Erfolge von Reni Eddo-Lodge ("Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche") und Alice Hasters ("Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten"). Beide Bücher weisen bereits "auf diese Unbequemlichkeiten hin, dass sich weiße Menschen damit auseinandersetzen sollten". Roigs Ansatz geht noch weiter. "Ich habe versucht, ein Gesamtbild zu geben von Unterdrückung in unserer Gesellschaft anhand von Beispielen in unterschiedlichsten Bereichen."

So beschreibt sie Mechanismen, die Grundlagen für Rassismus und andere Ausgrenzungen bilden: in Familien, während der Ausbildung, durch die Berichterstattung der Medien, im Umgang mit Polizei und Justiz ("nicht-weiße Menschen werden härter bestraft"), bei der Arbeit ("Menschen, die den obersten Gruppen der sozialen Hierarchie angeho¨ren, tendieren dazu, positive Vorurteile gegenu¨ber ihrer eigenen Gruppe zu haben") oder in alltäglichen Situationen.

Selbst neue Entwicklungen basieren auf alten Ressentiments: "Künstliche Intelligenz wird von Menschen geschaffen, deren Vorurteile, Perspektiven und Wahrnehmungen in den Prozess einfließen."

Als schwarze, queere Frau gehört Roig gleich zu mehreren marginalisierten Gruppen. "Alle Formen von Diskriminierung und Ungleichheit versta¨rken sich gegenseitig", schreibt sie. "Das heißt, dass neben Sexismus auch Rassismus, Homo-, Trans- und Behindertendiskriminierung beka¨mpft werden mu¨ssen - gleichermaßen und gegenseitig. Dieser Ansatz hat einen Namen: Intersektionalita¨t."

Auch nach Bewegungen wie Black Power oder Black Lives Matter sieht Roig noch einen langen Weg. Vera¨nderungen seien keine organischen Entwicklungen, "die sich einfach mit der Zeit ergeben haben", schreibt die Autorin. "Sie sind das Ergebnis von langwierigen sozialen Ka¨mpfen."

Und es gibt Gegenbewegungen, etwa die Verunglimpfung von Antirassismus in sozialen Netzwerken. "Es überrascht mich nicht", sagt Roig. "Menschen, die Schwierigkeiten haben mit Veränderungen, halten an dem fest, was sie kennen, was sie haben. Wenn schwarze Persönlichkeiten etwas mehr Gehör finden, dann triggert sie das."

Auswege sieht die Autorin in übergreifendem Handeln und zwischenmenschlicher Verbundenheit. "Niemand wird inneren Frieden empfinden können, solange es Ungerechtigkeit gibt." Dabei zeigt sich Roig trotz der ernüchternden Analysen zuversichtlich: "Wir kommen voran."

Emilia Roig: Why We Matter - Das Ende der Unterdrückung, Aufbau Verlag, 22 Euro, 397 Seiten, ISBN 978-3-351-03847-2.

© dpa-infocom, dpa:210216-99-460422/2

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