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Ein blonder Jude kämpft gegen Klischees

Shahak Shapira - Berliner, Israeli und Jude - wird mitten in der Hauptstadt Deutschlands von Judenhassern bespuckt und verprügelt. Nun hat er ein Buch über sein Leben und seine Familie veröffentlicht.

Von Gregor Tholl, dpa 05.06.2016, 11:50

Berlin (dpa) - Er widme sein Buch der Horde Antisemiten, die ihn in der Neujahrsnacht 2015 angegriffen habe, schreibt Shahak Shapira, der in Israel zur Welt kam und seit 14 Jahren in Deutschland lebt. Ohne euch, Jungs, wäre das alles nie möglich gewesen!

Der 28-Jährige hat eine Art Autobiografie veröffentlicht - Titel: Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde. Darin arbeitet er zwischen Satire und Ernsthaftigkeit viel mit Vorurteilen, um gerade diese nicht zu bestätigen. In Zeiten neuer Diskussionen über das Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen ein interessantes Projekt, das hilft, Klischees zu entlarven.

Shapira wurde Anfang 2015 bekannt. Er hatte sich nicht gefallen lassen, dass junge Männer in der Berliner U-Bahn antisemitische und antiisraelische Parolen grölten und war deshalb bespuckt und verprügelt worden. Viele Medien berichteten damals über den Vorfall, die islamfeindliche Pegida solidarisierte sich, aus Israel gab es sogar die Empfehlung, die Bundesrepublik zu verlassen.

Aber Shapira ließ sich nicht vereinnahmen: Er fühle sich in Berlin sicher und wolle seine Opferrolle nicht für Hetze gegen Muslime genutzt sehen. Rassismus sei immer dumm, egal gegen wen. Keine Religion dieser Welt schreibt einem vor, ein Arschloch zu sein - das ist eine Entscheidung, die jeder von uns selbst fällen darf.

Im Buch schildert Shapira die Vergangenheit seiner Familie und seine gegenwärtige Weltsicht. Am bewegendsten sind dabei die Geschichten seiner Großväter. Der Opa mütterlicherseits überlebte den Holocaust nur knapp als kleiner Junge, weil ihm Christen in Polen Unterschlupf gewährten. Der Opa väterlicherseits war der israelische Leichtathletiktrainer Amitzur Shapira, den palästinensische Terroristen bei den Olympischen Spielen 1972 in München ermordeten.

Ausgerechnet der Enkel dieser beiden Männer kam 2002 mit 14 Jahren nach Deutschland. Seine geschiedene Mutter folgte ihrem deutschen Freund nach Laucha, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der Neonazis und Rechtsradikale mächtig waren - etwa im Fußballverein.

Jahrelang kämpfte der junge Shahak (Aussprache: Schach-Hack) mit der deutschen Sprache, Pummeligkeit, Akne im Gesicht und einer Rolle als Außenseiter. Beschimpfungen wie Judenschwein waren häufig. Im Jahr 2007, als er 19 war, zog er nach Berlin. Heute arbeitet er als Kreativdirektor in der Werbung und als Musiker und DJ.

In seinem Buch gibt er viel preis. Seinen Vater in Israel nennt er immer nur Erzeuger, schildert ihn als geizigen Egomanen, zu dem er keinen Kontakt mehr habe. Im Gespräch gibt Shapira zu, dass er nicht so genau wisse, warum er so viel verrate, auch Intimes zum Beispiel: von seinem ersten Verliebtsein bis zum Verlauf von Tinder-Dates, etwa mit einer Frau, die einen absurden Juden-Fetisch gepflegt habe.

Zu seinem Aussehen sagt er, dass ihm natürlich bewusst sei, mit blondem Haar und heller Haut keinem Israeli-Klischee zu entsprechen. Wenn ihm aber die Nachfragen in diesem Punkt zu viel werden, schockt er Gesprächspartner gern mit Sarkasmus: Die haben uns damals Wasserstoff statt Zyklon B in die Gaskammer geblasen.

Das Buch wirft ein Schlaglicht auf Israelis in Deutschland. Shapira gehört zwar nicht zu den Leuten, die in den letzten paar Jahren wegen eines günstigeren und konfliktfreieren Lebens von Israel in die Bundesrepublik kamen, doch ist auch er Teil einer Community, die sich nicht unbedingt vom Zentralrat der Juden vertreten sieht.

In Berlin gibt es mit Spitz ein eigenes hebräisch-sprachiges Stadtmagazin. Dessen Gründerin und Chefin Tal Alon hält die öfter genannten Zahlen von bis zu 30 000 Israelis allein in Berlin für übertrieben. Sie geht eher von 11 000 aus. Sie freut es dennoch, wenn über diese Gruppe und vor allem über deren Vielfalt berichtet wird, wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagt: In deutschen Medien nervt mich oft, dass das Thema Juden oder Israelis in Berlin meist mit einem alten Mann von hinten mit Kippa auf dem Kopf bebildert wird. Dabei sei die überwältigende Mehrheit säkular, also unreligiös.

So wie auch Shapira, der die jüdischen Speisegesetze, beispielsweise zum Schweinefleisch, nicht ernst nimmt: Bei mir ist Religion wegen Bacon verboten. Ich kann doch nicht an einen Gott glauben, der Bacon verbietet. In diesem Punkt ähnelt er dem Vater seiner Mutter, der, wie er schreibt, für den Gott, der seine kleine Schwester in einer Gaskammer verrecken ließ, nur Spott und Verachtung übrig hatte.

Ohne moralischen Kompass ist Shapira aber keineswegs. Er hat eine Friedensbotschaft. Gegenüber seiner Heimat, die er liebt und die er auch bei dem Angriff in der U-Bahn verteidigt hat, als Fuck Israel gerufen wurde, ist er kritisch - vor allem in den letzten Jahren, vor allem unter der aktuellen Regierung. Er wolle nicht, dass sein Heimatland zugrunde gehe, dass die Nachbarn es hassten und ihre Kinder dorthin schickten, um Menschen abzustechen.

In Deutschland sieht er währenddessen die Flüchtlinge aus Nahost als Chance für ein besseres Verhältnis zwischen Juden und Muslimen. Und vor allem die Chance auf unglaublich guten Hummus in diesem Land - da gewinnen wirklich alle.

- Shahak Shapira: Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! - Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2016, 240 S., Euro 14,99, ISBN 978-3-499-63146-7

Verlagsinfos zum Buch "Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!"

Shapira bei stern.de: "Hitler wird mich wieder vernichten, diesmal auf der Bestsellerliste"

"Spitz" - Magazin

Israelis in Berlin - Bertelsmann-Stiftung

MAZ zu einer Lesung von Shapira