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Lässig improvisiert F.C. Delius beschwört "Die Zukunft der Schönheit"

Ein Jazzkonzert in New York wird für einen Jungautor zum Erweckungserlebnis. In seiner autobiografischen Erzählung beschwört F.C. Delius den Geist des Aufbruchs.

Von Johannes von der Gathen, dpa 03.04.2018, 11:04

Berlin (dpa) - Die Jahre um 1968 werden immer noch primär als politische Umbruchzeit gesehen. Aber der Aufstand gegen das Establishment spielte sich vor allem auf ästhetischem Terrain ab. Popstars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin oder John Coltrane haben wahrscheinlich mehr zur Befreiung der aufbegehrenden Jugend beigetragen als alle Flugblätter und Polit-Parolen zusammen.

In seiner sehr gut lesbaren, autobiografischen Erzählung "Die Zukunft der Schönheit" beleuchtet der 1943 geborene Berliner Autor Friedrich Christian Delius ein Initiationsereignis der besonderen Art. Im Mai 1966 verschlägt es den Jungautor zusammen mit zwei Freunden bei einem Besuch in New York in einen Jazzclub an der verrufenen Lower East Side. In "Slug's Saloon" erleben die Deutschen ein Konzert des Free-Jazzers Albert Ayler, der mit seinen vier Mitstreitern das Publikum in die Freiheit nie gehörter Töne und Dissonanzen führt.

Für den jungen Delius öffnet sich in diesem düsteren, verrauchten Keller eine ganz neue Welt. Als hätten die Jazzer auf der Bühne einen Zauberstab, der die Aufnahmefähigkeit der Zuhörer in freie Schwingungen versetzt. Als wäre da ein Fenster geöffnet worden, das einen ganz neuen Blick freigibt.

Dabei kam Delius an diesem Maitag erst Tage zuvor von einem Treffen der "Gruppe 47" in Princeton, und war heilfroh, dass er bei diesem typisch deutschen Schriftsteller-Meeting nicht auf dem "elektrischen Stuhl" vorlesen und keine Kritikerhäme einstecken musste. Stattdessen kreisen seine Gedanken um die Kindheit und Jugend in der hessischen Provinz. Der Vater war evangelischer Pfarrer, ein später Kriegsheimkehrer mit einer Verletzung, an der er mit 48 Jahren stirbt.

Als der damals 17-jährige Sohn nach einer harmlosen Geburtstagsfeier mitten in der Nacht nach Hause kommt, wartet der Vater auf seinen renitenten Sohn: "Das Bild war geblieben: der erhobene Arm mit dem Kissen, hilflos, fast lächerlich. Das Kissen war seine letzte Waffe, der hochgereckte Arm hatte etwas von Laokoon aus dem Griechischbuch (..) ein starker Mann und schon Verlierer".

Dies sind die Bilder, die den jungen Delius im Jazzkeller fernab der "Berliner Bissigkeit" heimsuchen. In immer neuen Anläufen umkreist der Autor sein Thema, setzt wieder an, scheint wie die Musiker auf der Bühne zu improvisieren. Die funkelnde Erzählung gliedert sich um kurze Absätze, die manchmal nur eine halbe Seite lang sind, und diese Form des immer neu Ansetzens passt perfekt zu einem lässigen Erinnerungsbuch, aus dem man viel erfährt über den Aufbruch und die Generationsbrüche um 1968.

"Was war schon die Herkunft gegen die Zukunft", sinniert der Autor. Für ihn wird die Schreibmaschine zum Instrument der Welterfassung, ein neues Buchprojekt wartet bereits in Berlin auf ihn. Es folgen die Mühen der Ebene, aber die Erinnerung an den Abend der Freiheit bleibt unauslöschlich.

Die Zukunft der Schönheit