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"Zeichnen war immer Protest" Linke Kult-Comics:  Gerhard Seyfried wird 70

Einer der größten Alt-68er meldet sich zurück: Die linke Kultfigur Gerhard Seyfried hat seinen Fans zu seinem Geburtstag einen neuen Comic gezeichnet. Darin kostet der Görlitzer Park Eintritt - und Berlin ist restlos durchgentrifiziert.

Von Jasper Riemann, dpa 14.03.2018, 14:36
Comiczeichner Gerhard Seyfried in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg. Foto: Christoph Soeder
Comiczeichner Gerhard Seyfried in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg. Foto: Christoph Soeder dpa

Berlin (dpa) - Er ist Anarchist und hat schwarze Kraushaare: "Zwille" heißt die Figur des linken Künstlers Gerhard Seyfried, der vor gut 20 Jahren seinen letzten gleichnamigen Comic gezeichnet hat. Die Zeiten, in denen Seyfrieds Figuren - so erzählt man sich - an den Wänden jeder Kreuzberger Wohngemeinschaft anzutreffen waren, sind vorbei.

50 Jahre liegt die 68er-Bewegung in der Vergangenheit. Doch jetzt, wo Zeitungen mit Sonderausgaben an die Studentenproteste von damals erinnern, lässt Seyfried seinen berühmten Helden Zwille noch einmal auferstehen. "Zwille" erscheint pünktlich zu einem weiteren Jubiläum: Am Donnerstag wird Seyfried 70 Jahre alt.

Die einstige Kultfigur der Berliner Hausbesetzerszene lebt heute in einer großzügigen Altbauwohnung in Schöneberg. Seyfried, ein kleingewachsener Mann mit zurückgekämmten Haaren und kräftigen Augenbrauen, sitzt auf seinem roten Sofa im Wohnzimmer und blickt zurück. Da war zum Beispiel die Anfangszeit als Künstler in den 70ern bei dem linken Münchner Stadtmagazin "Blatt", das regelmäßig beschlagnahmt und schikaniert worden sei. Nach einem Umzug nach Kreuzberg karikierte er die Nachfolger der 68er-Bewegung: "Wo soll das alles enden" wurde sein erster größerer Erfolg.

"Zeichnen war immer Protest", sagt Seyfried. Der Künstler erinnert sich, wie seine Comics auf Flugblättern in Universitäten nachgedruckt worden seien. Genug Material dafür gab es: Mit den Comicbänden "Freakadellen und Bulletten", "Invasion aus dem All-Tag" und "Das schwarze Imperium" wurde Seyfried zum kritischen, aber stets humorvollen Gesicht der linken Szene. Seine Bildergeschichten spielten oft im Kreuzberger Untergrund, Markenzeichen waren der Anarchist Zwille, besetzte Häuser und natürlich die knollennasigen Polizisten. "Meine beste Waffe gegen den Autoritätsglauben in der Bevölkerung: Verspottung der Polizei", erklärt Seyfried, will dabei aber nie verletzend gewesen sein.

Was ist übrig vom Protestgeist von damals? Seyfried lehnt sich auf seinem Sofa zurück: "Ich bin schon noch original." Viele aus der 68er-Generation hätten als Richter oder Politiker Karriere gemacht, er nicht. Das Einkommen durch seine Comics reichte nicht zum Leben, obwohl er 1990 mit dem Max-und-Moritz-Preis als bester deutscher Comiczeichner gewürdigt wurde. Also baute er sein Repertoire aus: Er veröffentlichte mehrere Romane über deutsche Geschichte, dazu kamen Auftragsarbeiten. Die bekannteste davon war ein Wahlplakat für den Grünen Christian Ströbele vor der Bundestagswahl 2002: "Ströbele wählen heißt Fischer quälen". Auch bei der jüngsten Bundestagswahl war Seyfried wieder aktiv, diesmal für Die Linke.

Vor einem Jahr hätten ihn seine Fans gedrängt, endlich wieder einen Comic mit Zwille, dem alten Anarcho-Helden, zu zeichnen, sagt Seyfried. Das Ergebnis ist eine Geschichte über ein gentrifiziertes Berlin, in dem die Polizei gerade das letzte besetzte Haus geräumt hat. Der dadurch obdachlos gewordene Zwille zieht durch Kreuzberg und sucht einen Job.

In dem Abenteuer zeichnet Seyfried ein fast dystopisches Bild einer Stadt, in der der Görlitzer Park Eintritt kostet und anstelle des Künstlerhauses Bethanien ein Luxushotel steht. Düster ist die Stimmung trotzdem nie, Zwille hat immer einen guten Spruch auf den Lippen. Häufig gibt es auch Anspielungen auf frühere Geschichten, so taucht zum Beispiel der Politiker-Bösewicht Dr. Schmier-Lavier wieder auf.

"Berlin verliert seinen Charakter", sagt Seyfried. Investoren bauten Glaskästen mitten in traditionelle Stadtviertel, Ketten verdrängten alternative Cafés, mittlerweile könne sich niemand mehr eine Wohnung leisten. Nostalgisch sei er aber nicht. Er handhabe es wie schon immer: "Ich mache mich darüber lustig."

Gerhard Seyfried: "Zwille", 64 Seiten, fifty-fifty Verlag