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Schriftstellergeburtstag Von Krieg und Krankheit geprägt: Lobo Antunes wird 75

Er tut nach eigenen Worten nichts anderes als schreiben. Am 1. September wird der gelernte Psychiater 75. Inzwischen hat Lobo Antunes auch ein ganz konkretes Ziel.

Von Emilio Rappold, dpa 31.08.2017, 13:59

Lissabon (dpa) - António Lobo Antunes wird auch im hohen Alter des Schreibens nicht müde. "Ich arbeite im Schnitt weiterhin zwölf Stunden pro Tag", erzählte der ewige Kandidat für den Literaturnobelpreis im Juli in einer seiner Chroniken für die Zeitschrift "Visão".

Der Mann, der als bedeutendster lebender Schriftsteller der portugiesischen Sprache gilt, wird am Freitag (1. September) 75 Jahre alt. Er tue "nichts anderes als schreiben", versicherte der Portugiese mehrfach. Und obwohl der gelernte Psychiater auch dem Lesen viel Zeit widmet, produziert er geradezu am Fließband. 27 Romane hat er bereits veröffentlicht. Zuletzt einen pro Jahr. Das nächste Buch mit dem Arbeitstitel "Bis die Steine leichter sind als Wasser" will er im Herbst fertig haben. "Ich glaube, dass ich als kleiner Junge wie Obelix in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen bin", witzelte er im Februar in einem seiner seltenen Interviews in Anspielung auf die Comicfigur mit den übermenschlichen Kräften.

Die Produktivität des Autors ist erstaunlich, zumal Lobo Antunes weder Computer noch Schreibmaschine besitzt und seine langen und poesievollen Werke mit Kugelschreiber und Stift oft auch auf kleine DIN-A-5-Zettel kritzelt. "Schreiben ohne Kondom", nannte er das einmal.

Mit seiner unkonventionellen, energievollen und dichten Sprache, seinen an Atmosphäre und Metaphern reichen Texten begeistert Lobo Antunes seine Fans weltweit. Er ist kein Topseller, seine Romane wurden aber in 60 Sprachen übersetzt. Eine zentrale Rolle spielt in seinen Werken immer wieder der Dienst Anfang der 70er Jahre als Arzt in der damaligen portugiesischen Kolonie Angola. Das Regime hatte den jungen Mann aus reichem Haus für den Kolonialkrieg zwangsverpflichtet. "Das war schrecklich, bei einem Krieg gibt es nur Verlierer. Es war eine radikale Erfahrung, die mein Leben verändert hat."

Nach der Rückkehr vom 27-monatigen Einsatz Anfang 1973 arbeitete Lobo Antunes in Lissabon lange Zeit als Psychiater in einem Krankenhaus und schrieb nur in der knappen Freizeit. Bis dem Sohn eines angesehenen Arztes 1979 mit seinem zweiten Roman "Os cus de Judas" (1987 unter dem deutschen Titel "Der Judaskuß" erschienen) gleich auch international der Durchbruch gelang. Im stark autobiografischen Text in Monologform offenbart ein Kriegsveteran, den Angola zum seelischen Krüppel gemacht hat, einer Prostituierten in einer Lissabonner Bar im Alkoholrausch all seine Erinnerungen und Sehnsüchte, seine Schmerzen und Bitterkeiten.

Lobo Antunes machte in seinem Leben viel durch. Als Dreijähriger fesselte ihn eine Tuberkulose für ein Jahr ans Bett, 2007 überlebte er ein Krebsleiden, danach zwei weitere. Angst, Tod, Krankheit und Gewalt, aber auch die kleinen Sachen des Lebens sowie ein düsterer, melancholischer Gegenwartsblick spielen in den Werken des Autors, der seit 2010 in dritter Ehe mit einer 21 Jahre jüngeren Journalistin verheiratet ist, immer die Hauptrollen.

Als Vorbilder nennt er unter anderem Sartre, Hemingway, Malraux, Camus, Faulkner und Tolstoi. Von den Zeitgenossen bewunderte Lobo Antunes vor allem den 2015 gestorbenen Günter Grass, "als Schriftsteller, aber auch als Menschen". Wie ordnet er sich selbst als Literat ein? "Das, was ich schreibe, kann man nicht Romane nennen. Ich erzähle keine Geschichten, will kein Entertainer sein, will nicht lustig oder interessant rüberkommen", schrieb er in einer Chronik. Er sagte einmal, ihn interessiere nur der Versuch, das ganze Leben zwischen die zwei Deckel eines Buches zu stecken".

Kritiker feiern das Lissabonner Original, das unter anderem weder Kreditkarte noch Auto oder Handy besitzt, als einzigartiges literarisches Genie. Er sei ein "Meister der portugiesischen Sprache", hieß es etwa 2007, als er in brasilianischen Rio de Janeiro mit dem bedeutendsten Literaturpreis der portugiesisch-sprachigen Welt, dem Prémio Camões, ausgezeichnet wurde.

Nicht wenige kritisieren ihn jedoch auch als arrogant und stur. Lobo Antunes widerspricht nicht: "Ich bin introvertiert, verschlossen. Voller Selbstzweifel. Es ist nicht leicht, mit mir zu leben. Es ist so, als ob ich ständig im Bürgerkrieg wäre." Bis auf wenige Interviews und Auftritte bei Literatur- und Kultur- Festivals lässt sich Nuno Antunes in der Öffentlichkeit seit Jahren kaum noch blicken. Aus dem Haus geht der Mann, der auch Deutsch spricht, fast nur noch, um Zigaretten zu holen. "Ich habe kein Sozialleben, gehe nicht zu Dinner-Partys oder ins Kino, sehe kaum noch meine Freunde, lebe nur für die Bücher", räumt er ein.

Aber vielleicht macht er sich auch deshalb immer rarer, weil er inzwischen auch ein ganz konkretes Ziel vor Augen hat: Bis 2020 seinen 30. Roman zu veröffentlichen. "Dann will ich aufhören. Das ist in meinem Kopf entschieden. Die runde Zahl will ich schaffen. Und aufhören, bevor ich gaga bin." An den Nobelpreis denke er "überhaupt nicht", versicherte er jüngst knurrend im Interview. "Dieser Preis erregt doch nur wegen des Geldes (Dotierung umgerechnet ca. 850 000 Euro) so viel Aufmerksamkeit. Für die Geschichte bedeutet der nichts. Wer hat vor fünf Jahren gewonnen? Ich erinnere mich nicht ..."

Lobo Antunes im Verlag D.Quixote