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Literatentreffen Wiedersehen der Gruppe 47 nach 50 Jahren

Vor fünf Jahrzehnten traf sich die legendäre Autorenvereinigung Gruppe 47 zum letzten Mal. Nun ist das kleine fränkische Städtchen Waischenfeld auf die Idee gekommen, die Literaten einfach noch einmal einzuladen. Und viele von ihnen kommen tatsächlich.

Von Kathrin Zeilmann, dpa 13.10.2017, 14:13

Waischenfeld (dpa) - Bei schönem Wetter rauschen die Ausflügler mit dem Auto oder dem Motorrad vorbei. Bei Regen, wenn die Wolken zwischen den Felsen hängen, ist es trist. Dass in diesem Gasthof am Ufer des Flüsschens Wiesent vor 50 Jahren Literaturgeschichte geschrieben wurde - wer weiß das heute schon, wenn er einen Ausflug oder einen Kurztrip in die Fränkische Schweiz zum Wandern oder Klettern unternimmt?

Hier, im Gasthof "Pulvermühle", tagte im Oktober 1967 die legendäre Gruppe 47 zum letzten Mal. Ein zweitägiges Festival in der Kleinstadt Waischenfeld an diesem Wochenende (14./15. Oktober) ist nun der Gruppe 47 gewidmet. Sofern es die Gesundheit zulasse, hätten die meisten der einstigen noch lebenden Teilnehmer ihr Kommen zugesagt, sagt Organisatorin Karla Fohrbeck stolz: "Sie freuen sich alle aufeinander."

Die ehemalige Kulturreferentin der Stadt Nürnberg glaubt indes nicht, dass die Begegnung in Waischenfeld nach 50 Jahren ein sentimentales Klassentreffen wird - vielmehr gehe es den Teilnehmern nach wie vor um Literatur. "Jeder will lesen. Einige gestalten auch zwei Lesungen." In den Briefen und E-Mails, die sie als Rückmeldung auf ihre Einladung bekommen habe, habe es fast immer geheißen: "Was für eine tolle Idee!" Nicht nur die alten Kämpen der Gruppe 47 sind nach Waischenfeld eingeladen, sondern auch junge Autoren wie Nora Bossong. Jung und Alt sollen miteinander ins Gespräch kommen auf Podien, bei Lesungen oder im Literatencafé. Hans Magnus Enzensberger wird ebenso erwartet wie Friedrich Christian Delius und Jürgen Becker, der vor 50 Jahren in der "Pulvermühle" den letzten Preis der Gruppe 47 gewann.

Dass die Gruppe sich einst in einem so abgelegenen Ort traf, gehörte zum Konzept der Literatenvereinigung, die offiziell ja eigentlich gar keine war. Hans-Werner Richter (1908-1993) lud stets persönlich per Postkarte ein. Man wollte abseits der Metropolen sein, sich auf die Literatur, die Sprache, die Diskussion konzentrieren: engagierte Autoren, die die Erfahrung Diktatur, Krieg und Trümmer verarbeiten mussten. Namen wie Günter Grass, Heinrich Böll, Martin Walser, Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger waren die Aushängeschilder der Gruppe 47, an deren Treffen später auch Verleger und Kritiker teilnahmen. Die Gruppe war die Intellektuellen-Bühne der jungen Bundesrepublik schlechthin.

Warum aber kam es 20 Jahre nach der Gründung dann im Jahr 1967 in der "Pulvermühle" zum Aus? Zunächst hatte Richter für 1968 zwar noch ein Treffen in Prag geplant, das aber wegen des Einmarsches der Ostblock-Truppen zur Niederschlagung des Prager Frühlings nicht zustande kam. Doch bereits bei früheren Treffen hatte es rumort. "Das Jahr 1968 markiert nicht zufällig den Endpunkt der Gruppe 47: die politischen Gegensätze zwischen den Generationen waren nicht mehr zu überbrücken, und auch ästhetisch war sie schon längst in feindliche Lager zerfallen", sagt der Literaturkritiker Helmut Böttiger, dessen Buch über die Gruppe bei der Leipziger Buchmesse vor vier Jahren den renommierten Sachbuchpreis erhalten hatte.

"Im Grunde war sie ein Opfer ihres Erfolgs: seit Ende der 50er Jahre monopolisierte sie den Literaturbetrieb, die Tagungen wurden zu Events, und viele der bekanntesten Autoren wollten sich dieser Öffentlichkeits- und Marketingmaschinerie nicht mehr unterziehen." Auch die politische Bedeutung der Gruppe 47 als "literarische Opposition" in der Adenauer-Zeit habe sich mit Willy Brandts Kanzlerschaft überholt, bilanziert Böttiger: "Ihre Zeit war vorbei."

Bei der ländlich geprägten Bevölkerung in Waischenfeld selbst wurde das Literaten- und Kritikertreffen kaum wahrgenommen. Lediglich im Schaufenster eines Cafés waren Bücher der Autoren ausgestellt. Die Lokalpresse war schon interessierter: Beim Festball, so ist in den Archiven nachzulesen, soll es heiter zugegangen sein, Richter und seine Frau eröffneten den Tanz, auch Günther Grass soll einen schönen Abend verlebt haben. Später lobte er im Gästebuch des Gasthofs die Knödel.

Linke Studenten aus Erlangen demonstrierten vor der "Pulvermühle" und kritisierten die Vereinigung als Papiertiger. Und auch drinnen waren die Auflösungstendenzen wohl nicht mehr zu übersehen. "Routine, Altersabnutzung und massierte Kritik am Gruppenstatus hatten, wenn nicht die Kritiker und Verleger, so doch vor allem die Literaten immer trennungswilliger gemacht", schrieb der "Spiegel". Und so hat sich die unscheinbare "Pulvermühle" einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte erobert.

Programm des Festivals