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Graf Öderland: Dresden macht Theater um Pegida

Graf Öderland mit der Axt in der Hand: Das Dresdner Staatsschauspiel nimmt einen Text von Max Frisch als Parabel für verlorenen Glauben an die Demokratie. Pegida spielt darin mehr als eine Nebenrolle.

Von Jörg Schurig, dpa 26.11.2015, 14:55

Dresden (dpa) - Nein, Öderland will Regisseur Volker Lösch nicht im Elbtal bei Dresden verorten. Öderland ist vielmehr ein Synonym für Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, das nicht die Freiheit ermöglicht, die man sich erträumt.

Wenn das Dresdner Staatsschauspiel an diesem Samstag Graf Öderland von Max Frisch auf die Bühne bringt, wird es hochpolitisch. Lösch hat dem Stück einen zweiten Titel beigefügt: Wir sind das Volk. Dahinter verbergen sich die selbsternannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, die den Spruch aus der Wendezeit gern im Munde führen, auch wenn sie nicht den Großteil der Gesellschaft verkörpern.

Seit gut einem Jahr muss Dresden mit Pegida leben, hier entstand die Bewegung. Anfangs wurde sie als Bündnis besorgter Bürger wahrgenommen. Doch die Zeit der Unschuld ist lange vorbei. Pegida hat sich radikalisiert und gilt heute als offen islam- und fremdenfeindlich. Gegner halten den Pegidisten um ihren Anführer Lutz Bachmann Hetze gegen Ausländer vor und machen sie für Übergriffe auf Flüchtlinge mitverantwortlich. Pegida-Anhänger wiederum fühlen sich zu Unrecht in die rechte Ecke bestellt, obwohl sie ausländerfeindliche Parolen hemmungslos und lautstark bejubeln. Es war eine Frage der Zeit, bis Pegida im Theater landet.

Volker Lösch, der sich als politischer Theatermann oft in gesellschaftliche Debatten einschaltet, musste nur noch nach einem passenden Stück suchen, mit dem er an Pegida andocken konnte. Erst hatte er Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden im Blick. Allerdings spielte hier der Verlag nicht mit. Und auch Max Frischs Biedermann und die Brandstifter hätte sich trefflich geeignet. Doch dieses Stück hatte Lösch erst im Vorjahr in Basel inszeniert. Deshalb nahm er sich die Geschichte um Graf Öderland vor, die vom alptraumhaften Aufstieg eines Populisten erzählt. Ein Mann, der auf Zukunftsangst und Unzufriedenheit seiner Mitmenschen bauen kann.

Chefdramaturg Robert Koall verweist darauf, dass sich Themen rund um Pegida durch den Spielplan der ganzen Saison ziehen - von Lessings Nathan der Weise bis hin zu Kleists Michael Kohlhaas. Im engeren Sinne sei Graf Öderland aber ein Abschluss mit dem Phänomen Pegida, dass für Koall weit größer ist als die mittlerweile wieder überschaubare Menschenmenge auf dem Dresdner Theaterplatz, dem bevorzugten Aufmarschgebiet der Pegidisten: Das größere Problem liegt darin, dass diejenigen, die nicht zu Pegida gehen, keine Pegida-Gegner sind. Dieser Umstand mache das Stadtklima aus. Koall ist frustriert über die Trägheit der Masse in Dresden.

Das wurmt auch Regisseur Lösch. Dass Pegida in Dresden auf so wenig Gegenwehr stößt, hält er für ein gravierendes Dilemma. Nun ist er gespannt darauf, wie die bürgerliche Mitte in der selbstverliebten Residenzstadt auf sein Stück reagiert. Eine Kostprobe bekam er schon bei einer öffentlichen Probe am Dienstag. Da hat er es hinter sich im Publikum zischen hören, so nach dem Motto: Stimmt ja gar nicht. Das Problem: Jedes Wort auf der Bühne stimmt. Denn Lösch lässt seine Schauspieler außer Text von Max Frisch und persönlichen Bekenntnissen ausschließlich Dinge sagen, die auf Pegida-Kundgebungen nachweislich zu hören waren oder aus anderen sicheren Quellen stammen.

Als Sprachrohr nutzt Lösch dazu den Dresdner Bürgerchor - ein Laienensemble, das er erstmals 2003 bei der Orestie des Aischylos auf die Bühne brachte und seither immer wieder in Inszenierungen auftreten ließ. Der Sprechchor artikuliert all jene diffusen Ängste, die bar jeder Logik jede Woche bei Pegida zu hören sind und ihren Wahrheitsgehalt nicht selten aus kruden Verschwörungstheorien beziehen. Tatsächlich geht in der Pegida-Gemeinde beispielsweise die Sorge um, dass die Deutschen schon in wenigen Jahren kein Weihnachtsfest mehr feiern dürfen, weil dann bereits die Muslime regieren und hierzulande alles voller Moscheen steht.

Für Koall ist Graf Öderland dennoch kein Stück über Pegida: Es ist eine mit dokumentarischem Stoff durchzogene Parabel darüber, was passiert, wenn der Glaube an eine demokratische Ordnung verloren geht und eine Gesellschaft sich radikalisiert, sagt er. Solange Pegida jeden Montag nahe am Schauspielhauses vorbeilaufe, werde man weiter im Sinne eines Gegengeistes Theater machen. Koall wünscht sie wie der aus Dresden stammende Journalist und Buchautor Peter Richter einen neuen Genpool für die Stadt: Wir brauchen mehr Leute von draußen mit anderen Erfahrungshorizonten. Leute, die in Dresden leben wollen, weil es trotz allem eine der tollsten Städte sei.