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Theatermacher Johan Simons verabschiedet sich von der Ruhrtriennale

Welche Aufgabe hat das Theater in politisch aufgeheizten Zeiten? Der Theatermacher Johan Simons hat dazu eine klare Meinung. Das hat er in drei Jahren seiner Ruhrtriennale-Intendanz bewiesen.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa 27.09.2017, 11:55

Bochum (dpa) - Johan Simons hat an das Theater immer einen besonders hohen politischen Anspruch gestellt. Das ganze Ruhrgebiet wollte der Niederländer als Intendant der Ruhrtriennale mit Kunst und Kultur "umschlingen".

In seiner dreijährigen Intendanz stellte Simons, einer der profiliertesten Theatermacher in Deutschland, seit 2015 die europäischen Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit künstlerisch und politisch auf den Prüfstand - und versah sie vorsorglich immer mit Fragezeichen.

In diesen drei Jahren heizte sich das politische Klima in Europa mit Terroranschlägen, Brexit-Votum und Flüchtlingsströmen immer weiter auf. "Ich hätte nie gedacht, dass sich die Welt in der Zeit so verändern würde", sagt Simons. Kurz vor dem Ende seiner Intendanz am kommenden Wochenende wurde dann die rechtspopulistische AfD mit zweistelligem Ergebnis in den Bundestag gewählt. Nicht nur für Simons, sondern auch für seine Kollegen an Theatern und im Kulturbetrieb ist der Rechtsruck in Deutschland eine besondere Herausforderung.

Deutschland darf sich nach Ansicht von Simons nicht von der Willkommenskultur verabschieden. Im Gegenteil: "Wir müssen noch offener sein", sagt der 71-Jährige. Ähnlich wie der Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, fordert auch Simons, dass man das Gespräch mit AfD-Wählern suchen müsse, um mehr über sie zu erfahren. Das Problem: Es kenne sie kaum jemand. Dabei war die AfD in einigen Städten des Ruhrgebiets, etwa in Gelsenkirchen, besonders erfolgreich. Doch umschlungen wurden die AfD-Anhänger von der Kultur bisher offenbar nicht.

Was Offenheit bedeuten kann, hat Simons im Ruhrgebiet zu zeigen versucht. Die Ruhrtriennale bespielte wüste Kohlenmischhallen in stillgelegten Zechen an den Rändern des Reviers, etwa in Lohberg bei Dinslaken oder in Marl. Die Bewohner von Stadtvierteln wurden zu Diskussionen eingeladen. Oft sah man in Simons' Inszenierungen, etwa in "Die Fremden", Migranten in den Zuschauerreihen, ganze Familien, Frauen mit Kopftüchern. Wer wollte, konnte als Statist in einer Filminstallation oder bei einem Tanzprojekt mitmachen. Allein Installationen und Gratis-Veranstaltungen lockten in Simons' letzter Saison rund 45 000 Besucher an.

Die Ruhrtriennale ging in dem Projekt "Urban Prayers Ruhr" in Moscheen, Synagogen, Tempel und Kirchen. Auch Problemviertel wie Duisburg-Marxloh scheute Simons nicht. In der größten Moschee in Marxloh diskutierte er mit dem Imam über Zweifel an Gott. "Auf eine gewisse Weise ist die Ruhrtriennale dichter ans Leben angedockt als die anderen Festivals", sagt Simons.

Schon mit seiner Theatergruppe "Hollandia" sei seine Devise gewesen, "Theater für Menschen zu machen, die nie ins Theater kommen", sagt Simons. Aber er wolle kein einfaches Theater bieten, sondern "komplexe Dinge". Er gesteht dabei auch ein, dass einige seiner Inszenierungen wohl zu schwierig waren. Dennoch habe er versucht, die Hemmschwellen gegenüber der Hochkultur gerade auch bei jungen Leuten abzubauen.

Doch mit jedem Jahr seiner Intendanz wurde der Ton bei Simons etwas düsterer. Seine letzte Spielzeit überschrieb er mit den Begriffen "Freude", "schöner" und "Götterfunken" aus Schillers "Ode an die Freude". Schon auf den Plakaten waren die drei Schiller-Worte mit schwarzer Farbe besprüht. Nach Simons' Worten "wollen immer weniger Leute Europäer sein".

Dem Ruhrgebiet wird der 71-Jährige treu bleiben: Er tritt 2018 die Intendanz im Schauspielhaus Bochum an. Dort will er schon in Grundschulen Kinder, Eltern und Lehrer für Theater begeistern, mit ihnen zusammen inszenieren und so das Publikum von morgen heranziehen. Die Ruhrtriennale war für Simons eine ideale Vorbereitung: "Ich habe das Gefühl, dass ich wirklich immer besser weiß, wie die Ruhrpottler ticken."

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