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Umweltkatastrophe Bericht zu Oder-Fischsterben lässt Fragen offen

Der deutsche Expertenbericht zum Fischsterben in der Oder enthält wichtige Analysen, aber keine große Überraschung. Umweltministerin Lemke betont, dass „menschliche Aktivitäten“ die Katastrophe verursacht hätten. Wer genau dafür verantwortlich ist, bleibt unklar.

Von dpa Aktualisiert: 30.09.2022, 11:23
Tote Fische haben sich an einem Wehr im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder auf der Wasseroberfläche gesammelt.
Tote Fische haben sich an einem Wehr im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder auf der Wasseroberfläche gesammelt. Patrick Pleul/dpa/Archivbild

Berlin - Der Abschlussbericht deutscher Experten zum massenhaften Fischsterben in der Oder lässt die Frage nach dem genauen Verursacher der Katastrophe weiter offen. Die Forscher einer Nationalen Expertengruppe unter Leitung des Umweltbundesamts legten am Freitag die Ergebnisse ihrer Analysen vor und bestätigten darin die massive Ausbreitung einer giftigen Alge als wahrscheinlichste Ursache der Umweltkatastrophe. Welche Quelle jedoch zu der ungewöhnlich hohen Salzkonzentration im Wasser geführt hatte, die die Vermehrung der Giftalge begünstigte, bleibe „mangels verfügbarer Informationen“ unklar, hieß es am Freitag.

Auch auf der polnischen Seite gab es keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Experten des Nachbarlandes hatten am Donnerstag ihre eigenen Erkenntnisse dazu vorgestellt und im Wesentlichen die bereits bekannten Annahmen zum Fischsterben bestätigt. Die dort gefundenen toten Fische bezifferten Experten auf 249 Tonnen. Im Bericht der deutschen Forscher heißt es, dass sich die genaue Masse der toten Fische, die geborgen und entsorgt worden seien, „nicht belegen“ lasse. „In der Presse“ seien mehrere hundert Tonnen genannt worden.

Das deutsche Umweltministerium betonte am Freitag, dass eingeleitetes Salz zur Massenvermehrung der Brackwasseralge Prymnesium parvum geführt habe. Diese habe wiederum eine giftige Substanz erzeugt, die zum massenhaften Tod der Fische sowie anderer Organismen wie Schnecken und Muscheln geführt habe. Die genaue Quelle der Salze, anderer Elemente und Chemikalien sei aber unklar, heißt es im Bericht. Unklar sei auch, wie die Brackwasseralge, die normalerweise in Küstengewässern vorkommt, ins Binnenland geraten sei.

Das Fischsterben war am 9. August auf der deutschen Seite des Grenzflusses entdeckt worden. Polnische Behörden hatten nach Regierungsangaben schon Ende Juli erste Hinweise darauf. Deutschland warf Polen vor, die Ereignisse nicht frühzeitig gemeldet zu haben. Die ursprüngliche Absicht, an diesem Freitag einen gemeinsamen deutsch-polnischen Abschlussbericht zum Fischsterben vorzustellen, scheiterte. Stattdessen wurden zwei separate Analysen der jeweiligen Seiten veröffentlicht.

Das Fischsterben in der Oder sei „eine gravierende Umweltkatastrophe“, die „durch menschliche Aktivitäten verursacht“ worden sei, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Freitag. Das sei ein zentrales Ergebnis der Untersuchungen. „Salzeinleitungen sind nach Ansicht der Fachleute die Ursache für das Fischsterben“, betonte die Ministerin. „Wir müssen die Einleitungen von Stoffen, zum Beispiel aus Kläranlagen, in Flüsse überprüfen und reduzieren“, appellierte Lemke. Sie werde dieses Thema im November mit den Bundesländern besprechen. Beim Vortrag der Ergebnisse auf polnischer Seite spielte der Faktor der Einleitungen dagegen eine untergeordnete Rolle.

Insgesamt deuteten die Analysen der deutschen Experten auf „multikausale Wirkmechanismen“ hin, die zum Verenden der Tiere geführt hätten. Hohe Temperaturen und eine geringe Niederschlagsmenge hätten die Lage verschärft, weil die Konzentration der schädlichen Stoffe dadurch gestiegen sei. Die Experten stellten auch Herbizide fest, bei denen es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit um industrielle Einleitungen“ handele. Die akuten Vergiftungen seien aber daraus nicht ableitbar, hieß es.

Die Analyse von mehr als 1200 bekannten Stoffen und Elementen habe ergeben, dass die nachgewiesenen Stoffe „typischerweise aus Einleitungen von industriellen oder kommunalen Kläranlagen“ stammten. Nähere Details dazu nennt der Bericht nicht.

Um künftigen Katastrophen dieser Art vorzubeugen, empfehlen die Wissenschaftler unter anderem, weitere Forschung zur Ausbreitung der Brackwasseralge zu betreiben und das grenzüberschreitende Warn- und Meldesystem zu verbessern. Auch vorhandene Genehmigungen für Einleitungen von Stoffen in Gewässer sollten überprüft werden.

In Brandenburg kündigte das dortige Umweltministerium an, von der Katastrophe betroffene Fischereibetriebe finanziell unterstützen zu wollen. Es werde derzeit an einer Richtlinie dazu gearbeitet, sagte eine Sprecherin. Nach Angaben des Ministeriums sind fünf Betriebe, die zu 80 Prozent von der Fischerei leben, sehr stark von den Auswirkungen des Fischsterbens betroffen.

Auch Bundesumweltministerin Lemke sagte den betroffenen Regionen Hilfe zu. Nun stehe die Regeneration des Flusses im Vordergrund, betonte sie. Ausbaumaßnahmen an der Oder, wie sie Polen seit geraumer Zeit vorantreibt, stünden einer „erfolgreichen Regeneration entgegen“, sagte Lemke. Sie stünde hierzu mit ihrer polnischen Kollegin weiter im Austausch. Auch Umweltverbände mahnten am Freitag einen Stopp der Oder-Ausbaumaßnahmen an.