Kindermorde Die trauernden Mütter von Potsdam
Prozess um grausige Kindermorde: Ein 33-Jähriger soll zwei Jungen entführt und umgebracht haben. Vor Gericht schweigt der Täter.
Potsdam (dpa) l Das Gesicht der Mutter von Mohamed scheint fast nur aus dunklen Augenringen zu bestehen. Von Schlafmangel, Trauer und Schmerz gezeichnet schaut die Frau lange Zeit ins Leere. Dann blickt sie geradeaus durch den Saal auf den Angeklagten Silvio S. Das ist der Mann, der den vierjährigen Mohamed 2015 entführt, missbraucht, ermordet und eiskalt unter Katzenstreu versteckt haben soll.
Zwischen den beiden verhandelt das Landgericht Potsdam in einem sterilen Raum den grausigen Fall. Es geht zugleich um die brutale Tötung des sechsjährigen Elias. Als dessen Mutter eintritt, erscheint eine zweite gebrochene Frau. Die 26-Jährige trägt Schwarz. Sie stützt sich auf eine Krücke. Sie meidet den Blick zu dem Mann auf der Anklagebank, der ihr Kind auf dem Gewissen haben soll.
Silvio S. ist in wenigen Monaten offensichtlich stark gealtert. Der 33-jährige Wachmann ist heute deutlich schmaler als auf den Bildern, die nach der Festnahme kursierten. Sein Haaransatz ist grau geworden. Zugleich wirkt das blasse Gesicht hinter der Nickelbrille kindlich. „Der sieht aus wie ein Messdiener“, sagt ein Zuschauer aus dem Saal.
Silvio S. hat bei der Polizei ein Geständnis abgelegt. Doch in seinem Mordprozess, der bis Ende Juli gehen soll, will er schweigen. Er fühlt sich angeblich von den Medien vorverurteilt. Sein Anwalt will daher zu Beginn des Verfahrens den Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Prozess erreichen. Doch das Landgericht lehnt diesen Vorstoß ab.
Warum Elias im Juli 2015 auf einem Spielplatz in Potsdam mit einem Fremden mitging, erscheint rätselhaft. Immer wieder betont seine Mutter, dass sie ihren Sohn wiederholt vor Erwachsenen mit bösen Absichten gewarnt habe. „Ich habe ihm erklärt, dass es sein kann, dass (...) jemand ihn austricksen und ihm weh tun will“, sagt die 26-Jährige.
Sie hat ihren Sohn immer mit dem Auto zur Schule gebracht, weil er doch erst in die erste Klasse ging. Fremden habe er nie die Tür aufgemacht. Und sie habe ihn immer nur im Hof des Hauses spielen lassen, dort, wo sie ihn fast immer im Blick hatte. Dann der Nachmittag, als er verschwand: „Alle 10 bis 15 Minuten habe ich nach ihm gesehen.“ Sie habe Abendessen vorbereitet. „Ich bin dann zum Rauchen hinuntergegangen und habe festgestellt, dass er weg ist.“
Die Frau wirkt auf den ersten Blick gefasst und muss dennoch schließlich unterbrechen. Sie erinnert sich, wie sie damals zunächst verzweifelt den Wohnblock abgesucht und schließlich den Notruf gewählt hatte. Es folgten Tage und Nächte, in denen sie und ihre Familie bis halb drei Uhr morgens alles in der Umgebung absuchten. Die Polizei rückte mit Streifenwagen und Helikopter an. Spürhunde bekamen den Sportbeutel von Elias zu schnuppern, um Fährte aufzunehmen. Eine große Aktion im sozialen Netzwerk Facebook startete. Alles vergebens. Erst viele Wochen später dann die schreckliche Gewissheit: Elias ist tot.
Da hatte Silvio S. der Anklage zufolge bereits Mohamed ermordet, den er im Oktober 2015 vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) entführt haben soll. Am Ende war es die Mutter von Silvio S. gewesen, die die Polizei auf ihren Sohn aufmerksam machte. Sie hatte ihn auf Bildern einer Überwachungskamera erkannt.