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Eurovision Hymne für Frieden oder politisches Kalkül?

Ukrainerin Jamala gewinnt den Eurovision Song Contest. Kiew feiert, Moskau stellt die Wertung in Frage.

16.05.2016, 23:01

Moskau (dpa) l Dass die Ukrainerin Jamala mit ihrem melancholischen Lied Russland den Sieg beim Eurovision Song Contest (ESC) entreißen konnte, löst in Moskau Entsetzen aus. Kritiker sehen nicht nur den Inhalt des Songs als politischen Affront, sondern wittern auch Betrug bei der Jury-Wertung.

Was stört Russland so sehr an dem Lied?

Russland sieht das Lied „1944“ über die Vertreibung der Krimtataren unter Sowjetdiktator Josef Stalin als politischen Song und damit als Verstoß gegen die Regeln des Wettbewerbs. Abgeordnete in Moskau kritisieren zudem, dass „1944“ konfrontativ und damit kein Beitrag für den gesamteuropäischen Kulturdialog sei – den sich der Wettbewerb doch auf die Fahnen geschrieben habe. Der ESC verwandele sich in ein politisches Schlachtfeld, meint der Außenpolitiker Alexej Puschkow. Sein Kollege Franz Klinzewitsch bringt einen russischen Boykott des ESC 2017 in der Ukraine ins Spiel, bisher ist das eine Einzelstimme.

Was sagen die ESC-Veranstalter zur Kritik aus Russland?

Die Europäische Rundfunkunion (European Broadcasting Union, EBU) hatte schon Wochen vor dem ESC von Stockholm erklärt, dass weder Titel noch Text von „1944“ eine politische Botschaft enthielten. Somit stehe der Song auch nicht im Widerspruch zu den Regeln des ESC.

Wie sind die Reaktionen in der Ukraine auf den ESC-Sieg?

Die prowestliche Führung in Kiew feiert den Erfolg auch als Triumph über Moskau. Als einer der Ersten gratulierte Präsident Petro Poroschenko. „Die ganze Ukraine dankt dir von Herzen, Jamala!“, twitterte der Staatschef. Der Abgeordnete Anton Geraschenko regte ein Einreiseverbot für jene russischen Musiker zum ESC 2017 in der Ukraine an, die die Politik Moskaus gegenüber Kiew öffentlich loben.

Wie haben beide Länder füreinander abgestimmt?

Was das Publikum angeht: erstaunlich harmonisch – trotz politischer Streitigkeiten. Die Zuschauer in Russland und in der Ukraine gaben dem Nachbarland jeweils hohe Punktzahlen. Bei den nationalen Jurys in Moskau und in Kiew setzte sich hingegen offenbar die Staatsräson durch: Von den Experten bekam das jeweilige Nachbarland null Punkte. Insgesamt lag Jamala am Ende mit 534 Punkten vorn. Russlands Sänger Sergej Lasarew kam mit 491 Punkten auf Rang drei.