Cem Özdemir Erdogans Albtraum

Wenn es zu Jamaika im Bund kommt, könnte Cem Özdemir Außenminister werden. Sehr zum Übel von Recep Edogan.

08.10.2017, 23:01

Berlin/Ankara (dpa) l Solche Töne hat man lange nicht mehr aus der türkischen Regierung gehört. „Es gibt keinen Grund für Probleme zwischen Deutschland und der Türkei, auch wenn das vergangene Jahr schwierig war“, sagt Außenminister Mevlüt Cavusoglu im aktuellen „Spiegel“. Nun, da der Wahlkampf in Deutschland vorbei ist, glaube er an eine Normalisierung der Beziehungen.

Alleine die Tatsache, dass sich Cavusoglu zwei Wochen nach der Bundestagswahl über das große deutsche Nachrichtenmagazin an die deutsche Öffentlichkeit wendet, ist ein klares Zeichen der Entspannung. Er hat in diesen zwei Wochen auch schon zwei Mal mit seinem scheidenden Kollegen Sigmar Gabriel telefoniert, nachdem es lange Zeit nur sehr sporadisch Kontakte zwischen den beiden gab.

Ob die Gespräche mit dem SPD-Politiker den deutsch-türkischen Beziehungen noch helfen, ist aber fraglich. Denn derzeit gilt als wahrscheinlich, dass die Grünen den Außenministerposten besetzen. Und sollte das so kommen, ist der aussichtsreichste Anwärter jemand, den die regierungsnahe türkische Zeitung „Yeni Akit“ kürzlich noch einen „Vaterlandsverräter“ schimpfte: Cem Özdemir, schwäbelnder Sohn türkischer Eltern, und einer der schärfsten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Normalerweise interessiert sich Erdogan nicht für Vorsitzende so kleiner europäischer Oppositionsparteien, wie es die Grünen bisher gewesen sind. Özdemir ist eine Ausnahme. Im Juni 2016 nannte Erdogan ihn in einer Rede vor Dorfvorstehern „den Mann, der in Deutschland sein eigenes Land des Völkermordes beschuldigt“.

Grund war die Bundestagsresolution zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich, deren maßgeblicher Initiator Özdemir gewesen ist und die bis heute nicht nur Erdogan, sondern auch oppositionelle Türken empört. Regierungsnahe Zeitungen schäumten damals vor Wut. „Yeni Safak“ beschimpfte den Grünen-Chef als „Abschaum“. „Star“ nannte Özdemir nicht nur einen „Pseudo-Türken“, sondern auch einen „Verehrer der Armenier und der (verbotenen kurdischen Arbeiterpartei) PKK“.

Das Armenier-Thema ist aber längst nicht das einzige, mit dem Özdemir Erdogan und dessen AKP gegen sich aufgebracht hat. Der Grünen-Vorsitzende – der sich selber als „anatolischen Schwaben“ bezeichnet – legte in der Vergangenheit wenig Diplomatie an den Tag, wenn er beispielsweise vom „AKP-Diktator“ Erdogan sprach.

Während Union und SPD ihren Türkei-Kurs erst zur Bundestagswahl deutlich verschärften, ist Özdemirs Rhetorik nicht nur dem Wahlkampf geschuldet gewesen: Der Grünen-Politiker ist schon lange einer der schärfsten Erdogan-Kritiker.

Sollte Özdemir tatsächlich Außenminister werden, wäre er der erste Bundesminister aus einer Migrantenfamilie. Er dürfte gerade deswegen penibel darauf achten, dass er sich nicht auf das Türkei-Thema reduzieren lässt. Und es ist auch unwahrscheinlich, dass er den Kurs der bisherigen Bundesregierung im Grundsatz ändert. Auch aus seiner Sicht gibt es nur einen Weg zur Entspannung: „Wie wäre es, wenn die #Türkei den wichtigen Schritt auf #Deutschland zugeht und inhaftierte deutsche Staatsbürger*innen freilässt?“, twitterte er als Reaktion auf das Cavusoglu-Interview. Gemeint sind der Journalist Deniz Yücel, der Menschenrechtler Peter Steudtner und andere, die aus politischen Gründen seit Monaten in der Türkei im Gefängnis sitzen. Özdemir hat im Wahlkampf aber für härtere Sanktionen gegen Ankara plädiert.

Entsprechend skeptisch äußert sich der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroglu zu der Perspektive, dass der Deutschtürke Außenminister werden könnte. „Wenn er vor einem möglichen Türkei-Besuch so unqualifizierte Äußerungen wie in der Vergangenheit von sich gibt, wird er nicht willkommen sein“, sagt er. Cavusoglu drückt es etwas zurückhaltender aus: „Es wäre falsch, die Beziehung zwischen beiden Ländern über Einzelpersonen zu definieren“, sagt er. „Wer auch immer als Bundesaußenminister in die Türkei kommt, wir lassen ihm den gleichen Respekt zukommen, der uns entgegengebracht wird.“

Einen Vorteil hätte die Ernennung Özdemirs zum Chefdiplomaten aber auf jeden Fall für die deutsch-türkischen Beziehungen: Bei Außenministertreffen wäre kein Dolmetscher mehr nötig.