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Nahostkrise Syrienkrieg spaltet Moskau und Westen

Kremlchef Putin setzt vermehrt auf flexible Allianzen. Die USA und die EU haben dem wenig entgegenzusetzen.

Von Thomas Körbel, dpa 12.10.2016, 23:01

Moskau l Es ist ein starkes Signal Moskaus in ohnehin angespannter Atmosphäre. Völlig unvermittelt sagt Kremlchef Wladimir Putin ein lang vorbereitetes Treffen mit dem französischen Präsidenten François Hollande ab. Putin beschwichtigt zwar am Mittwoch: „Wir haben gute Beziehungen.“ Doch Experten bezweifeln nicht, dass die Gründe des Kremls vor allem Differenzen im Syrien-Konflikt sind.

„Kriegsverbrechen“ und Einmischung in den US-Wahlkampf – die Vorwürfe gegen Russland zeigen verhärtete Fronten. So wirkt Putins Absage an Hollande wie eine weitere Episode der Entfremdung zwischen Russland und dem Westen wie zu Zeiten des Kalten Krieges.

Die Vorwürfe einer russischen Einmischung in den US-Wahlkampf wischt Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow als Unsinn vom Tisch. „Eine solche Aufmerksamkeit schmeichelt uns“, meint er süffisant. Russland als Thema in den Wahlkampf hineinzuziehen, schade den Beziehungen, betont auch Putin. Doch der Schaden ist schon längst da.

Als die USA vor einer Woche demonstrativ den Dialog mit Russland über eine neue Waffenruhe in der umkämpften syrischen Großstadt Aleppo aussetzten, legte Putin kurzerhand ein Abkommen über die Vernichtung von atomwaffenfähigem Plutonium auf Eis.

Zwar gilt das Plutonium-Abkommen eher als zweitrangig, doch sehen Beobachter in dem Schritt ein Signal an Washington. Es sei möglich, dass auch wichtigere Abkommen zur Waffenkontrolle irgendwann als Bauernopfer im weltpolitischen Spiel um Macht und Interessen eingesetzt würden, sagt Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie Zentrum.

Schon werden auch in Deutschland Rufe nach neuen Sanktionen wegen Russlands andauernder Luftangriffe in Syrien lauter. Möglich, dass es nicht so komme, sagt der Politologe Fjodor Lukjanow. „Aber von der Hoffnung auf eine noch vor wenigen Monaten erwarteten Lockerung der Strafmaßnahmen können wir uns erstmal verabschieden.“

EU und USA hatten die Sanktionen wegen der Ukraine-Krise verhängt. Nach der als Völkerrechtsbruch kritisierten russischen Einverleibung der ukrainischen Halbinsel Krim hatte der Westen versucht, Russland zu isolieren. Aber davon ist in Moskau keine Spur.

Für Sonnabend bereitet Putin eine Reise zum BRICS-Gipfel wichtiger Schwellenländer in Indien vor. Sein Vertrauter Dmitri Peskow betont, Putin sei zu Gesprächen mit Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsidenten Hollande und dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko über Frieden für den Donbass bereit.

Nicht zuletzt setzt Putin auf flexible Allianzen. Erst am Montag hatte er seine neue Freundschaft mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Istanbul inszeniert. Auch im Syrien-Konflikt wäre eine Zusammenarbeit mit der Türkei eine willkommene Wendung für Putin, und sei es auch nur vorläufig wegen unterschiedlicher Ziele.

In Syrien arbeitet Russland beständig daran, seine militärische Stellung auszubauen. Mehrere Kriegsschiffe hat die Marine ins Mittelmeer verlegt. Der Föderationsrat bestätigte zudem ein Abkommen mit Syrien, die russisch genutzte Basis bei Latakia zu einem ständigen Stützpunkt aufzurüsten.

Vor allem aber die andauernden Bombardements in Aleppo schüren den Streit mit dem Westen. „Die Ereignisse der vergangenen Tage zeigen, dass Russland in Syrien auf einen militärischen Sieg in Aleppo setzt ohne Rücksicht auf Proteste des Westens“, sagt der Experte Wladimir Sotnikow. Ein Sieg in Aleppo wäre vermutlich ein Wendepunkt in dem Krieg.

Das Wichtigste sei, eine Konfrontation zwischen Russland und den USA zu vermeiden, meint Lukjanow. „Ein Kalter Krieg ist vor allem in der Anfangsphase gefährlich, wenn noch nicht klar ist, wo die roten Linien verlaufen.“

Trenin: „Das russische Militär wettet vermutlich darauf, dass die scheidende US-Regierung in (Präsident Barack) Obamas letzten Amtstagen keinen Krieg gegen Damaskus anfangen wird.“ Die Lage könne aber schnell dazu führen, dass die beiden Großmächte in Syrien unter Beschuss geraten, warnt er. „Dies ist eine außergewöhnlich verstörende Aussicht, die den Menschen in Moskau und Washington schlaflose Nächte bereiten sollte.“

Nun hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow ein Treffen mit seinem US-Kollegen John Kerry für den 15. Oktober in Lausanne angekündigt.