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Public Viewing 1500 Verletzte bei Massenpanik in Turin

Beim Public Viewing zum Champions-League-Finale in Turin sind laut italienischen Medien mehr als 1500 Menschen verletzt worden.

04.06.2017, 07:58

Turin (dpa) l Überall Scherben, Gläser, Schuhe und Taschen. Der Platz San Carlo im Zentrum von Turin sollte am Samstagabend eigentlich Schauplatz einer großen Party werden. Doch beim Public Viewing des Champions-League-Finals zwischen dem Heimatclub Juventus Turin und Real Madrid gibt es auf einmal Unruhe – und tausende Menschen rennen in Angst und Panik davon. Sie fallen zu Boden, wissen nicht wohin, denken an einen Anschlag und treten übereinander, aufeinander. Menschen flüchten sich auf Kioskdächer, suchen Freunde und Kinder, die im Gedränge verloren gegangen sind. Was genau die Ursache für die Panik war – ein Knallkörper, ein Lärm-, muss noch geklärt werden.

Am Ende dieser Chaos-Nacht sind es 1527 Verletzte, wie die Präfektur mitteilte. Ein sieben Jahre alter Junge schwebt laut Medien in Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft Turin leitete Ermittlungen ein. Vermutlich war während des Spiels – das Juventus mit 1:4 verlor – auch eine Absperrung umgefallen, was zu dem Unglück beigetragen haben soll. Andere erzählen, jemand habe "Bombe" gerufen. "Alle schrien, "lauft weg, lauft weg". Menschen lagen auf dem Boden, es war schrecklich", sagte ein Fan dem TV-Sender Sky. Ein anderer sagte der Zeitung "La Stampa": "Wir sind über die Leute gerannt, die am Boden lagen. Wir haben einigen geholfen, aber die Masse hat gedrückt."

Die Präfektur erklärte, die Masse sei von der Angst vor einem Terroranschlag ergriffen gewesen. "Wenn eine Gemeinschaft ein schwaches Nervenkostüm hat, wenn die Angst die Herrschaft übernimmt, reicht ein Nichts, um das auszulösen, was auf dem Platz in Turin passiert ist", schrieb der italienische Ex-Ministerpräsident Matteo Renzi auf Facebook.

"Ich bin erschüttert, es erinnerte an die Katastrophe von Heysel", zitierte die Nachrichtenagentur Ansa einen Fan. Beim Finalspiel des Europapokals der Landesmeister im Mai 1985 zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin im Heysel-Stadion waren in Brüssel 39 Menschen gestorben.

In Turin ging die Panik zwar vergleichsweise glimpflich aus. Aber wie konnte so etwas überhaupt passieren – vor allem in Zeiten, in denen die Terror-Angst allgegenwärtig ist? Die Behörden müssen sich kritischen Fragen stellen. Gab es wirklich keine Fluchtwege, wie Betroffene berichteten? Immerhin war es ein vorab organisierter und angemeldeter Massenevent mit rund 30.000 Menschen. Müssten da die Kontrollen nicht besonders scharf gewesen sein? Und wieso lag der ganze Platz voller Scherben, wenn bei Veranstaltungen dieser Art eigentlich nur Plastikgläser zugelassen sein sollten?

"Sehr viele Verletzte haben sich an Glas geschnitten, und das hätte leicht vermieden werden können", sagte der Gesundheitsbeauftragte der Region Piemont, Antonio Saitta. Fans erzählten, dass Schwarzhändler überall unbehelligt Bier in Flaschen verkaufen konnten. Hinzu kommt: Wenn wirklich ein Böller oder etwas ähnliches die Panik ausgelöst hat, wie konnte den jemand in die Menge bringen? Gab es keine Durchsuchungen von Taschen?

"Es gab nur Kontrollen, was gefälschte Merchandising-Produkte anging, aber keine Kontrollen, um den Flaschenverkauf und den ungeregelten Zugang zu verhindern", schrieb ein Nutzer auf Twitter an Turins Bürgermeisterin Chiara Appendino, die sich erschüttert über die Ereignisse gezeigt hatte. "Eine Schande", schrieben andere und verlangten ihren Rücktritt.

Natürlich begann prompt die politische Debatte. Der Senator Alberto Airola der Fünf-Sterne-Partei, der die Bürgermeisterin angehört, sprach von einer Falschmeldung was die hohe Zahl der Verletzten angehe. Man wolle so nur die gute Arbeit der Partei in Turin degradieren. Später sah er sich allerdings genötigt, sich für die Bemerkung zu entschuldigen.

Was bleibt, ist eine beängstigende Erkenntnis: Am Samstag kommt es in London zu einem neuen Terrorangriff – in Turin dagegen entstand die Panik, weil die Menschen Angst davor hatten. "Jeden Tag wacht man mit neuen Schreckensnachrichten auf. Wenn es keinen Anschlag gab, dann fügen wir uns aus Angst davor selbst Schaden zu", sagt die Turinerin Gabriella der Deutschen Presse-Agentur am Telefon.