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Russland Fast wie im Kalten Krieg

Wegen Spionage für die USA hat ein Gericht in Moskau den US-Bürger Paul Whelan zu 16 Jahren Straflager verurteilt

16.06.2020, 23:01

Moskau (dpa/vs) l  In dem nicht öffentlichen Verfahren sah das Gericht die Agententätigkeit des 50-Jährigen am Montag als erwiesen an. Vor dem Gericht in der russischen Hauptstadt protestierte US-Botschafter John J. Sullivan gegen den Richterspruch. Die Verurteilung bezeichnete er als „Hohn“. Whelan selbst beteuerte seine Unschuld und sprach von einem politisch motivierten Urteil.

Botschafter Sullivan sagte, dass das Urteil die Beziehungen zwischen Washington und Moskau weiter belaste. Das Verhältnis beider Länder ist so angespannt wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr.

„Dieser geheime Prozess, bei dem kein einziger Beweis vorgelegt wurde, ist ein ungeheuerlicher Verstoß gegen die Menschenrechte und die internationalen rechtlichen Normen“, sagte Sullivan. Das Strafmaß blieb hinter dem Antrag der Staatsanwaltschaft zurück, die 18 Jahre Straflager gefordert hatte. Das russische Außenministerium wies Vorwürfe zurück, die Strafe sei überzogen. Im Westen gebe es dafür bis zu lebenslange Haft – ohne das Recht auf Begnadigung, hieß es in Moskau.

Whelans Anwalt Wladimir Scherebenkow sagte, dass er weiter für die Freilassung seines Mandanten kämpfen werde. Schon bei der Verhaftung im Dezember 2018 sei ein möglicher Austausch gegen einen in den USA inhaftierten Russen im Gespräch gewesen. Nach Darstellung von Scherebenkow will der russische Inlandsgeheimdienst FSB den in den USA unter anderem wegen Waffenhandels und Verschwörung zum Mord verurteilten Russen Viktor But gegen Whelan austauschen, sagte Whelans Anwalt. But war 2008 in Thailand verhaftet worden und später in den USA zu 25 Jahren Haft verurteilt worden.

Die außergewöhnliche Geschichte über den russischen Waffenhändler war einem breiteren Publikum durch den Hollywood-Film „Lord of War – Händler des Todes“ bekannt geworden. Im Film spielt Nicolas Cage die Hauptfigur Orlov, die But nachempfunden ist.

Whelan soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Er soll geheime Daten auf einem USB-Stick erhalten haben. Nach Darstellung der Verteidigung ging Whelan aber bei einem seiner vielen Besuche in Moskau davon aus, dass es sich lediglich um private Inhalte auf dem Datenträger gehandelt habe. Er war demnach bei der Hochzeit eines Freundes in Moskau gewesen, als der Zugriff des FSB erfolgte. Whelan war im Dezember 2018 festgenommen worden. Er ist auch britischer, irischer und kanadischer Staatsbürger.

Immer wieder gibt es zwischen den USA und Russland viel beachtete Spionagefälle. Ob es dabei stets um echte oder vielleicht nur vermeintliche Agenten geht, lässt sich kaum überprüfen. In der Vergangenheit einigten sich Russland und die USA aber auch auf einen Austausch von Gefangenen. Russlands Präsident Wladimir Putin, selbst ein ehemaliger Geheimdienstchef, hatte im vergangenen Jahr bei einer FSB-Versammlung vor ausländischen Spionageangriffen auf sein Land gewarnt. Demnach wurden allein 2018 mehr als 460 Spione enttarnt.