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Todesserie Drama am Mount Everest

Klettern zu viele Menschen auf den Everest? Zuletzt gab es viele Todesfälle. Experten sehen die Kompetenz der Bergsteiger als Grund.

28.05.2019, 23:01

Kathmandu (dpa) l Für viele ist es ein Lebenstraum: einmal den höchsten Berg der Erde erklimmen und auf dem „Dach der Welt“ stehen. Es ist ein Traum vom Bezwingen der unwirtlichen Natur an einem der unzugänglichsten Orte der Welt. Wohl niemand, der ihn träumt, malt sich dabei aus, Schlange stehen zu müssen.

So sah es in den vergangenen Tagen am Mount Everest aber bisweilen aus: Dutzende Bergsteiger in einer langen, dichten Reihe auf den letzten Metern vor dem Gipfel. In der „Todeszone“ über 8000 Meter, in der mit jeder Stunde die Überlebenschancen sinken, kam es zum Stau.

Der 62-jährige Anwalt Christopher Kulish aus dem US-Staat Colorado war einer derjenigen, die sich dieses Jahr den Traum von der Everest-Besteigung erfüllten. Kurz nachdem er die Spitze erreicht hatte, war er tot. „Er sah seinen letzten Sonnenaufgang am höchsten Gipfel der Welt“, heißt es in einer Mitteilung von Kulishs Bruder Mark, aus dem die Zeitung „Denver Post“ zitierte.

Kulish war das elfte Todesopfer in der laufenden Klettersaison an dem 8848 Meter hohen Berg. Darunter waren vier Inder, zwei US-Amerikaner, zwei Iren, ein Österreicher, ein Brite und ein nepalesischer Bergführer. Das sind ungewöhnlich viele Todesopfer, es ist aber kein Rekord: Vor vier Jahren kamen bei einem schweren Erdbeben 19 Bergsteiger ums Leben. Im Jahr darauf starben 16 Menschen bei einer Lawine.

In der diesjährigen Saison, die seit Dienstag nach zwei Wochen praktisch beendet ist, waren viele der Todesfälle aber nicht auf Naturkatastrophen oder Unglücke zurückzuführen. Der Tod kam oft nach Erschöpfung oder Höhenkrankheit – offenbar wegen langer Wartezeiten in gesundheitlich gefährlicher Höhe. Das hat eine Diskussion darüber ausgelöst, ob schlicht zu viele Menschen am Everest unterwegs sind.

Für die Besteigung von nepalesischer Seite aus – der Berg liegt an der Grenze zum von China verwalteten Tibet – braucht man eine Genehmigung, die umgerechnet rund 9000 Euro kostet. In 2019 wurden 381 Genehmigungen erteilt – mehr als je zuvor, wenn auch nur sechs mehr als vor zwei Jahren.

Die Bergsteigerin und Journalistin Billi Bierling führt gemeinsam mit anderen die „Himalayan Database“ von Everest-Chronistin Elisabeth Hawley in Kathmandu weiter. Bierling führt die extremen Zustände vor allem auf das enge Zeitfenster zurück, in denen dieses Jahr günstiges Wetter herrscht. Im vergangenen Jahr habe es eine längere Reihe guter Tage gegeben.

Die Probleme seien aber grundsätzlich nicht neu, sagt Bierling. „Es hat mit den unerfahrenen Bergsteigern zu tun. Es gibt zu viele Leute, die keine Erfahrung haben, mit Steigeisen umzugehen oder sich abzuseilen.“ Damit bräuchten sie für schwierige Stellen erheblich länger – die Folge seien Staus. Und: „Die Leute unterschätzen die Höhe.“

Knapp 800 Menschen – Bergsteiger sowie die Sherpas, die diese als Bergführer und Träger engagieren – erreichten laut der „Himalayan Database“ im 2018 den Gipfel. 2019 dürften es etwa gleich viele gewesen sein, wenngleich an weniger Tagen.

Der Nepalese Chatur Tamang kehrte gestern von seiner fünften Everest-Besteigung zurück. Er habe gesehen, wie sich manche erschöpfte Bergsteiger nur noch an ihren Seilen festklammerten und andere zusammenbrachen, nachdem ihnen der künstliche Sauerstoff ausgegangen sei, sagt er. „Es war windig und kalt, und ich habe gesehen, wie Sherpas ihre Kunden vom Gipfel hinunter schleppten.“

„Auf dem Weg nach oben mussten wir mehrere Kletterer überholen, weil sie sehr langsam waren“, erzählt der Bergführer Tshering Lama, der in der vergangenen Woche am Everest war. Er könne verstehen, dass manche eine Begrenzung der Genehmigungen forderten. Man müsse aber auch bedenken, dass in Nepal Tausende Menschen vom Bergsteiger-Tourismus leben. „Die Regierung und die Touranbieter sollten dafür sorgen, dass nur erfahrene Bergsteiger auf den Berg gelassen werden“, meint Lama.