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Autozulieferer „Die heiße Phase kommt noch“

ACOD-Geschäftsführer Jens Katzek über den Wandel in der Autoindustrie und kriselnde Zulieferer

07.12.2020, 23:01

Magdeburg l Die Autoindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel, betroffen sind auch viele Zuliefererbetriebe in Ostdeutschalnd Wo deren Chancen liegen und wo jetzt Volksstimme-Interview mit Massimo Rogacki.

Volksstimme: Herr Katzek, eine Vielzahl von deutschen Autozulieferern steht vor einer ungewissen Zukunft. In Sachsen-Anhalt musste zuletzt in Wernigerode Nemak den Rotstift ansetzen. Werden sich die schlechten Nachrichten häufen?

Jens Katzek: Es wird sicher zukünftig Einzelteile geben, die nicht mehr gebraucht werden. Und natürlich stellt sich die Frage, wie gut Zulieferer, die heute Teile für Verbrennungsmotoren produzieren, sich auch auf Elektromobilität einstellen können. Wir sehen bereits heute, dass es nicht alle Unternehmen schaffen werden. Und wir befinden uns noch nicht einmal in der „heißen Phase“. Durch die E-Auto-Prämie stieg die Zahl der Zulassungen zwar deutlich, aber wir sind noch immer bei 90 Prozent Verbrennern. Die Umstellung zieht sich also noch über mehrere Jahre. Für Zulieferer, die heute Teile für Verbrenner herstellen, kommt die wirklich schwierige Situation erst noch. Die Konversion könnte für viele aber auch eine Chance sein.

 

 

Von Teilen für Verbrenner auf neue Antriebe umzusatteln?

Unternehmen müssen sich fragen: Was kann ich? Welche Maschinen habe ich und was können meine Mitarbeiter? Sie müssen herausfinden, ob sie diese Kompetenz nutzen können, um andere Teile herzustellen. Das kann durchaus ein sehr schmerzhafter Prozess sein. Vergleichbar mit der Wendezeit. Firmen aus der DDR hatten Maschinen und kompetente und engagierte Mitarbeiter, mussten aber nach der Umstellung gegen Firmen mit gleichen Voraussetzungen ankommen, die viel länger am Markt waren. So wie damals steht auch heute wieder eine Kraftanstrengung bevor. Wenn sich Unternehmen umstellen wollen, wenn sie neue Produkte entwickeln und produzieren wollen, benötigen sie Unterstützung. Das heißt, nicht nur Fördermittel für Forschungsprojekte, sondern auch Investitionsförderung in Form von Krediten und Sicherheiten bei der Anschaffung neuer Maschinen. 

Die Bundesregierung hat ja ein zwei Milliarden schweres Konjunkturpaket angekündigt.

Entscheidend wird sein, in den kommenden Jahren Unternehmen zu unterstützen, die sich umstellen wollen. Ich höre bei unseren Unternehmen immer wieder Formulierungen wie: Wir machen Aluminiumteile für Motoren und es gibt einen riesigen Auftrag, um neue Teile herzustellen. Dafür müssten wir aber 20 Millionen in neue Maschinen investieren. Einen Kredit über die Kfw oder die Hausbank bekommen diese Unternehmen aber nicht, weil auch von der Seite der Banken die Unsicherheit groß ist, wie die Umstellung auf neue Antriebe voranschreitet. Unternehmen brauchen aber insbesondere diese Liquidität für die Investitionen in neue Maschinen und in Forschung. Erschwerend kommt noch das europäische Beihilferecht hinzu. Aber wenn das Geld nicht da ankommt, wo es wirklich benötigt wird – in den Betrieben, die in Innovationen investieren möchten – sind die Hilfen nicht mehr als eine Nebelkerze.

War es nicht absehbar, dass ein Unternehmen, dass sich etwa auf Zylinderköpfe spezialisiert hat, früher oder später Probleme bekommen würde?

Viele Unternehmern hatten lange Zeit mit einer Unklarheit zu kämpfen: Handelt es sich beim Thema Elektromobilität nur um ein Rauschen im Blätterwald oder sind das Produkte, die auch wirklich auf dem Markt angenommen werden? Angela Merkel hat einmal das Ziel formuliert, bis 2020 eine Millionen E-Autos auf den deutschen Straßen zu haben. Davon sind wir ja meilenweit entfernt, auch weil es gar keine entsprechende Infrastruktur gab. In der Bevölkerung gab es lange keine Akzeptanz für den neuen Antrieb. Alle haben über das Thema E-Mobilität geredet, aber auf der Straße kam es nicht an. Ich wäre vorsichtig mit der These, dass es ein Fehler der Unternehmen war, nicht mit aller Kraft schon frühzeitig umzusteuern. 

Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, die Zahl der Ladesäulen zu erhöhen. Die Autoindustrie sagt: Das dauert zu lang. Was muss passieren?

Eine aktuelle Studie der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur zeigt: Bis 2030 könnten in Deutschland insgesamt 14,8 Millionen Elektroautos zugelassen sein. Der Bedarf an öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur bis 2030 wird auf 440 000 bis 843 000 Ladepunkte beziffert. Um Augenblick sind es nicht mal 30 000 Ladesäulen. Der Nachholbedarf ist also riesig. Wichtig: Wir müssen die Ladeinfrastruktur stärker dort ausbauen, wo die Menschen auch parken, damit Laden möglichst attraktiv wird. Zudem muss das Bezahlen einfach sein. Vor allem sollten Ladesäulen für Mitarbeiter in Betrieben gefördert werden, denn dort stehen die Autos acht Stunden am Tag. So nutzen wir die begrenzten finanziellen Mittel des Staates effektiv. Aber nehmen Sie nur mal den Mittelständler mit 200 Mitarbeitern. Will der 20 Ladesäulen anschaffen, gehen die Kosten schnell in den hohen fünfstelligen Bereich. Zusatzkosten, die mit dem eigentlichen Geschäft des Unternehmens gar nichts zu tun haben. Und heute gibt es bekanntlich auch nicht kostenlos Benzin beim Arbeitgeber.

Im Wandel liegt eine Chance, sie deuteten es an. Wie bewerten Sie Ansiedlungen wie die des Batterieherstellers Farasis in Thalheim oder FEV mit dem Batterietestzentrum in Sandersdorf-Brehna? 

Ich werte solche Ansiedlungen als ökonomisch und emotional sehr positives Signal. Durch die Verkehrswende gibt es eben auch neue Produkte oder neue Firmen, die sich ansiedeln. Es gibt neue Perspektiven für Beschäftigte, die möglicherweise ihren Arbeitsplatz verloren haben. Es ist allerdings schwer zu prognostizieren, ob für die neuen Technologien die gleiche Zahl von Mitarbeitern benötigt wird. Wir brauchen in jedem Fall staatliche Unterstützung, um Mitarbeiter, die sich umstellen wollen, zu qualifizieren. Das Qualifizierungschancengesetz ist da ein guter Anfang.