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DDR „Die Deutschen kennen sich nur wenig“

Der ostdeutsche Theologe Markus Meckel wird nach dem Mauerfall Politiker.

19.03.2020, 23:01

Seinen ersten Anzug kaufte der ostdeutsche Pfarrer 1990 in einem West-Berliner Fachgeschäft – dunkel und gestreift. Mitgründer der Ost-SPD, letzter DDR-Außenminister, Ex-SPD-Abgeordneter im Bundestag – Meckel blickt im 30. Jahr der Deutschen Einheit kritisch zurück.

Das Agieren der (West-)Parteien nach dem Mauerfall im Osten kommt in dem Buch nicht besonders gut weg. Meckel räumt aber auch ein, als unerfahrener Minister auf internationalem Parkett Fehler gemacht zu haben. Er habe zu sich als jungem Mann eine gewisse Distanz gewonnen, schreibt der Sozialdemokrat, der bis heute stolz ist, dass ihm Willy Brandt nach dem Mauerfall das „Du“ angeboten habe.

Er wolle zu einer differenzierten Erinnerungskultur beitragen, betont Meckel im Gespräch. In seiner „politischen Biografie“ notiert der Christ, die unvergesslichen Jahre 1989 und 1990 hätten seine Generation geprägt. „Doch haben wir in Deutschland darüber noch keine gemeinsame Erzählung gefunden.“ Die Deutschen seien wohl das Volk in Europa, das sich selbst am wenigsten kenne.

Detailliert beschreibt Meckel, wie in Kirchenkreisen der Widerstand gegen die SED-Herrschaft wuchs und die Stasi durch geheime Zuträger immer Bescheid wusste. Wie schwierig es oft war, sich ohne Telefon oder Fax mit Gleichgesinnten auszutauschen und zu organisieren, ist heute kaum noch vorstellbar. Trotz aller Mühen und persönlichen Einsatzes: Die DDR-Opposition der 1980er Jahre seien intellektuelle Zirkel und oft mit der Kirche verbunden gewesen, meint Meckel. „Anders als in Polen hatten wir es nie geschafft, eine tiefere Verwurzelung in der Bevölkerung zu erreichen.“

Meckel erinnert sich, wie sein rechtes Knie vor Aufregung gezittert habe, als er am 26. August 1989 den Aufruf zur Gründung der Ost-SPD in kleinem Kreis verlas. „Wir waren die ersten, die sich vorwagten und öffentlich das Haupt aus der Deckung erhoben, die SED und ihren Machtanspruch und damit das System, in dem wir lebten, infrage stellten ...“ Zu den Mitbegründern gehörten auch Martin Gutzeit und Ibrahim Böhme, der später als Stasi-Spitzel enttarnt wurde.

Während am 7. Oktober 1989 – dem 40. Jahrestag der DDR – im Pfarrhaus in Schwante die Sozialdemokratische Partei in der DDR gegründet wurde, traf sich in Ost-Berlin das SED-Politbüro mit Michail Gorbatschow, hebt Meckel hervor, der bei der Mutter der späteren Kanzlerin Angela Merkel im uckermärkischen Templin Englisch lernte. Als er die ersten Fernsehbilder vom Mauerfall sah, sei für ihn klar gewesen: „Jetzt wird alles komplizierter!“ Eine herbe Enttäuschung folgte schon bei der ersten freien Wahl zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990.Die SPD landete weit hinter der Allianz für Deutschland (mit der Ost-CDU an der Spitze). Angeleitet von der West-CDU habe es eine „Schmutzkampagne gegen die SPD“ gegeben, „wie wir es uns nie hätten träumen lassen“, stellt Meckel rückblickend fest. Man habe versucht, „uns in infamer Weise in die Nähe der SED zu rücken“. Am 12. April 1990 übernahm dann Markus Meckel in der Großen Koalition von Oskar Fischer, der 15 Jahre lang Minister für auswärtige Angelegenheiten der DDR war, die Amtsgeschäfte.

Die Verletzungen vieler Ostdeutscher im Einigungsprozess sitzen auch bei Meckel tief. Westdeutsche hätten wenig verstanden von dem, was sich in der DDR seit 1989 vollzogen und welche Verantwortung auf der neuen, demokratisch gewählten Regierung gelegen habe.

Trotz aller Distanz zum herrschenden System habe er nie aus der DDR weg gewollt, schreibt Meckel. Er habe es als Herausforderung gesehen, für die eigenen Werte und den Glauben einzustehen, vor Ort etwas zu verändern – „zu wandeln die Zeiten“. Sein Vater, ebenfalls Pfarrer, habe ihn stark geprägt. Und dann habe er aus den Stasi-Akten erfahren, dass sein Vater zur Zusammenarbeit erpresst worden sei. (dpa/vs)