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NSU-Prozess Angehörige der Opfer sagen aus

Die Plädoyers im NSU-Prozess ziehen sich wie der gesamte Prozess in die Länge. Erstmals seit langem kam eine Angehörige zu Wort.

Von Christoph Lemmer, dpa 21.11.2017, 23:01

München l Viereinhalb Jahre dauert der NSU-Prozess inzwischen. Das Oberlandesgericht München führt das Verfahren bisher unangefochten bis in die Schlussphase, die Plädoyers. Die dauern jetzt auch schon wieder mehrere Monate. Die Bundesanwaltschaft schloss ihr Plädoyer am 12. September ab. Seitdem geht es wieder zäh, manchmal gar nicht voran.

Wochenlang reisten Elif und Gamze Kubasik immer wieder zum Prozess nach München an, immer in der Erwartung, jetzt seien sie mit ihrem Vortrag dran. Die eine ist die Witwe, die andere die Tochter von Mehmet Kubasik, der am 4. April 2006 in Dortmund ermordet wurde. Wochenlang aber mussten die Frauen unverrichteter Dinge wieder abreisen.

Bis zu diesem Dienstag. Da endlich wartet Elif Kubasik hinter einem Tischpult, das Gerichtsdiener in einer Pause am frühen Nachmittag auf ihren Platz stellen. Sie spricht laut ins Mikrofon, auf Türkisch. Ein Dolmetscher übersetzt Satz für Satz. „Die sollen nicht denken, dass wir dieses Land verlassen werden“, sagt sie an die Adresse der Täter und ihrer Szene. Sie beschreibt das Leben mit ihrem Mann. Wie sie sich kennenlernten oder wie sie ihn als Vater erlebte.

Dann sagt sie: „Heute ist es für mich nicht leicht, diese Leute zu sehen.“ Sie meint die fünf Angeklagten – Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. „Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten“ – gemeint ist Zschäpe. Und dann, als sie über Zschäpes eigene Einlassungen im Prozess spricht, sagt sie sehr laut und heftig: „Ekelhaft, einfach ekelhaft.“ „Es war alles Lüge, was sie sagte.“ Und die Form ihrer Entschuldigung sei „verletzend“ gewesen: „Das war, als würde sie uns beleidigen.“

Dann übernimmt Anwalt Ilius, und gleich gibt es wieder Streit um Verfahrensfragen. Ilius wiederholt den Vorwurf des strukturellen Rassismus bei den Ermittlungsbehörden. Der habe den Blick auf die wirklichen Täter verstellt. Der Anwalt spricht von Anschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen und zählt ungeklärte Fälle auf. Da stoppt ihn ein Verteidiger. Das habe nichts mit dem Verfahren zu tun, sagt Rechtsanwalt Wolfgang Stahl, einer der Pflichtverteidiger von Beate Zschäpe. Niemand könne überprüfen, ob das mit diesen ungeklärten Fällen alles so stimme und ob es relevant sei. Aber am Ende lässt Richter Götzl den Nebenkläger weitermachen.

Ähnliche Scharmützel hatte es schon am Morgen geben, wobei es zunächst störungsfrei begann. Da hatte noch einmal Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler das Wort, als Vertreter zweier Opferfamilien. Er geht Beate Zschäpe frontal an: „Was haben Sie eigentlich für Deutschland getan?“ Eines ihrer Opfer, eine von einer NSU-Terrorbombe verletzte junge Frau, habe jedenfalls mehr aus ihrem Leben und mehr für das Land gemacht. Er meint die Tochter eines iranisch-stämmigen Kölner Geschäftsmannes, die bei einem Anschlag schwer verletzt wurde. Daimagüler hält Zschäpe aus dem Leben dieser Frau vor: Abi trotz schwerer Verletzungen, Medizinstudium, und jetzt, als Ärztin, rette sie jeden Tag im Krankenhaus Menschenleben.

Dann kündigt Daimagüler an, sich nunmehr dem Angeklagten E. zuzuwenden. Vorbei ist’s mit dem Frieden im Saal. Sofort meldet sich dessen Verteidiger zu Wort und protestiert. Er bezweifelt, dass Daimagüler zur Anklage seines Mandanten überhaupt etwas sagen dürfe. Bezüglich seiner Mandanten gebe es nichts, was E. vorgeworfen werde.

Es entspinnt sich wieder eine dieser Verfahrensdebatten, wie sie seit Monaten das Verfahren bremsen und die immer wieder eskalieren – so auch jetzt. Rechtsanwältin Nicole Schneiders, eine Verteidigerin des mutmaßlichen Waffenbeschaffers Ralf Wohlleben, will möglichst schnell geklärt haben, wie weit die Nebenkläger in ihren Plädoyers gehen dürfen. Und weil davon die meisten – rund 50 – noch bevorstehen, fügt sie provokant an: „Wehret den Anfängen.“

Das regt einen der Nebenklage-Anwälte auf, Alexander Hoffmann. Er nennt Schneiders’ Bemerkung eine „Unverschämtheit“, denn Schneiders sei ja selber eine „ehemals aktive Neonazistin“. Es wird laut im Saal, und einer von denen, die sich zu Wort melden, ist Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Er empfiehlt Anwalt Hoffmann, seine Formulierung vielleicht zu ändern. Da hat Schneiders aber schon verlangt, sie für den Nachweis einer Straftat, etwa Beleidigung, zu protokollieren.

Am Ende fordert sie das Gericht auf, es möge beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe vorstellig werden, damit Staatsanwalt Weingarten aus dem NSU-Prozess abgezogen werde. Auch die Schlussphase im NSU-Prozess dürfte noch eine Weile dauern.