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RAF-Attentat Blumenstrauß und Pistolenkugeln

Der Bankier Jürgen Ponto wurde vor 40 Jahren ermordet, eine gute Bekannte der Familie hat die RAF-Mörder ins Haus gebracht.

29.07.2017, 23:01

Frankfurt/Main (dpa) l Der 30. Juli 1977 ist ein schöner Sommertag. Ignes und Jürgen Ponto sitzen auf der Terrasse ihres Hauses in Oberursel bei Frankfurt am Main, als es kurz nach 17 Uhr klingelt. Vor der Tür stehen Susanne Albrecht, die Tochter eines Studienfreunds Jürgen Pontos, eine weitere Frau und ein Mann. Sie haben einen Blumenstrauß dabei.

Jürgen Ponto ist Vorstandssprecher der Dresdner Bank, damals eines der größten deutschen Geldhäuser. Der hochgewachsene Mann begrüßt Susanne Albrecht und ihre ihm unbekannten Begleiter und will eine Vase für die Blumen holen. Da zieht der Mann eine Pistole. „Sie sind wohl wahnsinnig“, ruft Ponto und drückt den Arm des Mannes weg. Ein Schuss löst sich. Die unbekannte Frau zieht ebenfalls eine Waffe und schießt fünf Mal auf Ponto. Projektile durchschlagen dessen Kopf und Brustkorb.

Die drei Besucher fliehen. Vor der Tür wartet ein weiterer Mann in einem roten Ford. Sie brausen davon. Nur sieben Minuten danach landet ein Rettungshubschrauber auf einer Wiese neben dem Haus. Aber die Verletzungen Pontos sind zu schwer. Er stirbt um 18.30 Uhr in einem Frankfurter Krankenhaus.

Der unbekannte Besucher ist Christian Klar, die Frau heißt Brigitte Mohnhaupt. Peter-Jürgen Boock steuerte das Fluchtauto. Die drei und Susanne Albrecht gehören zur sogenannten zweiten Generation der Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion (RAF).

Ponto sollte offenbar gekidnappt werden, um die in Stuttgart-Stammheim einsitzenden RAF-Terroristen der ersten Generation freizupressen. Doch der Plan scheiterte. Besonders verwerflich erscheint dabei das Handeln Susanne Albrechts, die den Terroristen den Zugang zu Ponto ermöglicht, dem Freund ihres Vaters. Sie war über die Hausbesetzerszene in Kontakt mit der RAF gekommen. Eine volle Aufnahme in die Gruppe fand sie aber erst, als sie preisgab, dass sie Ponto kenne. Nach der Tat schütteln Weinkrämpfe sie. Das habe sie nicht gewollt, sagt sie.

Für den Berliner Historiker Tobias Wunschik ist das durchaus glaubhaft. „Bei so offenkundigen Schuldgefühlen, die sie danach hatte, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie Ponto ans Messer liefern wollte“, analysiert er. Offensichtlich aber habe sie ihr Gewissen damit beruhigt, dass die anderen Terroristen ihr versichert hätten, es sei lediglich eine unblutige Entführung geplant. An einer ursprünglichen Entführungsabsicht aber zweifeln die Ponto-Biografen Ralf Ahrens und Johannes Bähr. Es müsse bezweifelt werden, schreiben sie.

Wunschik dagegen hält das für unwahrscheinlich. Die gesamte Offensive 77 habe schließlich der Befreiung Baaders, Ensslins und Raspes dienen sollen. Boock sagte später aus, der Buback-Mord sei als eine Art Ausrufezeichen geplant gewesen, anschließend hätten zwei Entführungen in kurzer Zeit aufeinander folgen sollen.

Infografik: Zwischen RAF und IS | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Im Bekennerbrief, der wahrscheinlich aus der Feder Mohnhaupts stammt, klingt eine misslungene Aktion an: „Zu Ponto und den Schüssen, die ihn jetzt in Oberursel trafen, sagen wir, dass uns nicht klar war, dass diese Typen, die in der Dritten Welt Kriege auslösen und Völker ausrotten, vor der Gewalt, wenn sie ihnen im eigenen Haus gegenübertritt, fassungslos stehen.“

Susanne Albrecht sagt sich 1980 von der RAF los und taucht in der DDR unter, wo ihr die Stasi eine neue Identität als Englischlehrerin „Ingrid Jäger“ verschafft. Nach dem Fall der Mauer kommt sie 1991 vor Gericht. Da sie sich als Kronzeugin zur Verfügung stellt und sich grundlegend von ihren Taten distanziert, verurteilt sie das Oberlandesgericht Stuttgart lediglich zu zwölf Jahren. Nach nur sechs Jahren kommt sie aus der Haft frei – und unterrichtet dann als Lehrerin an einer Schule in Bremen. Boock wird 1981 verhaftet, Klar und Mohnhaupt im Jahr darauf und 1985 wegen neunfachen Mordes und elffachen Mordversuchs zu je fünf Mal lebenslanger Haft plus 15 Jahre verurteilt. Die beiden, die als Rädelsführer der zweiten RAF-Generation galten, sind inzwischen frei.

Viele Jahre hat es gedauert, bis sich die Familien Albrecht und Ponto nach dem Mord wieder annäherten. Zu verdanken ist dies einer Initiative von Julia Albrecht, der Patentochter Pontos, die 13 Jahre jünger als ihre Schwester Susanne ist.

Auch die „Täter-Familie“ knabbert weiter an ihrem Drama. Nach der Annäherung an Corinna Ponto hat die Journalistin Julia Albrecht ihre Familiengeschichte für die ARD dokumentiert. In der TV-Dokumentation vom Mai 2015 bezeichnet ihr einziger Bruder Matthias die inzwischen 66-jährige Susanne Albrecht als die „eigentliche Zerstörerin unserer Familie“. Susanne Albrecht, die inzwischen einen anderen Namen trägt, schweigt – genauso wie fast alle anderen RAF-Mitglieder, die inzwischen resozialisiert sind.