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Rocker-ProzessTödlicher Machtkampf

Die Hells Angels sind im Rocker-Milieu nicht mehr die unangefochtene Nummer eins. Ein Leipziger Fall beschäftigt nun ein Gericht.

17.07.2017, 16:16

Leipzig (dpa) l Im Gerichtssaal kommen sich die Feinde wieder ganz nah. Auf der Anklagebank: vier Rocker der Hells Angels. Und im Publikum sind zwei Reihen voll mit Mitgliedern des neueren Rockerclans United Tribuns, fast alle in hautengen T-Shirts über den trainierten Oberkörpern. In Saal 115 des Leipziger Landgerichts geht es am Montag um Mord.

Der mutmaßliche Haupttäter, ein heute 31 Jahre alter Hells-Angels-Rocker, soll am 25. Juni vergangenen Jahres in Leipzigs berüchtigter Eisenbahnstraße mehrere Schüsse auf Mitglieder der United Tribuns abgegeben haben. Ein 27-Jähriger starb, zwei Männer wurden lebensgefährlich verletzt. Die anderen drei Angeklagten sollen sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft mit "Gewalttätigkeiten" beteiligt haben. Ihr Ziel: den Tötungsplan vollenden.

Zum Prozessauftakt wirken die vier Beschuldigten eher unscheinbar auf der von Polizisten abgeschirmten Anklagebank. Einzig der ehemalige Boss der Leipziger Hells Angels, ein 34-Jähriger, bekennt mit einem Harley-Davidson-Langarmshirt Flagge. Sein Leipziger Chapter gibt es nicht mehr. Kurz nach den Schüssen löste sich die lokale Gruppe auf. Die United Tribuns dagegen sind noch aktiv.

Die Fehde zwischen den beiden Clans ist eins der jüngsten Beispiele für Gewalt zwischen etablierten Rockern und Neulingen in dem Milieu. Sie zeigt, wie Revierkonflikte und Machtrangeleien eskalieren können.

Schon in seinem letzten Bundeslagebild Organisierte Kriminalität spricht das Bundeskriminalamt (BKA) von einem Trend zur Gründung "rockerähnlicher Gruppierungen". Damit meint die Behörde Clans, die ähnlich hierarchisch aufgebaut sind wie etablierte Rocker-Gruppen, bei denen das Motorrad aber eine eher untergeordnete Rolle spielt; zum Beispiel die United Tribuns.

2015 gab es gegen solche Gruppen etwas mehr Verfahren im Umfeld Organisierter Kriminalität als im Vorjahr: 14 statt 12. Sieben davon richteten sich gegen die United Tribuns, eine im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen gegründete Gang mit Mitgliedern vorwiegend aus dem Türsteher- und Bodybuilder-Milieu.

Experten beobachten, wie diese Gruppe aus dem Süden zunehmend in andere Bundesländer drängt – auch nach Sachsen. Im Mai 2016 eröffneten die Tribuns laut eigener Facebook-Seite in Leipzig ein Clubhaus – und drangen damit wohl in bislang unangefochtenes Hells-Angels-Gebiet ein. Wenige Wochen später kam es zu den Schüssen.

Details und Hintergründe der Tat sind noch immer unklar. Die eigentlich geplante Verlesung der Anklage wurde unmittelbar nach Auftakt des Prozesses auf den kommenden Termin am 1. August verschoben. Die Verteidiger der vier Hells Angels hatten Einwände gegen die Schöffen und sprachen daher eine sogenannte Besetzungsrüge aus. Außerdem erachteten sie eine psychologische Sachverständige als befangen.

Für den einzigen Schreckmoment des Vormittags sorgt der Vorsitzende Richter Hans Jagenlauf selbst – und das noch bevor überhaupt einer der Angeklagten den Raum betreten hat. "Raus hier", brüllt er – und meint damit nicht etwa Rocker, sondern eine Handvoll Fotografen, die sich in den Sicherheitsbereich hinter der Richterbank vorgewagt hatten.

Sonst passiert an diesem ersten Tag recht wenig im von unzähligen Polizisten streng gesicherten Gerichtssaal. Provokationen bleiben aus. Nur einer der Tribuns im Publikum muss den Raum verlassen. Er soll bei den Schüssen selbst zugegen gewesen sein und ist damit ein möglicher Zeuge.

Nach Ende der Verhandlung warten draußen Dutzende Tribuns-Rocker – in schwarzen Westen und abgeschirmt von Polizisten. Schließlich ziehen sie ab, in Richtung Innenstadt. Hells Angels sind nicht zu sehen.