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Schutzgesetz "Hurenpass" verunsichert Prostituierte

Das Gesetz zum "Schutz von Sexarbeiterinnen" soll diese seit Juli 2017 schützen. Aber bei der Umsetzung gibt es zahlreiche Probleme.

30.06.2018, 23:01

Hamburg (dpa) l Bianca ist verzweifelt. Die junge Frau arbeitet als Prostituierte auf der Hamburger Reeperbahn, einem der bekanntesten Rotlichtviertel der Welt. Ein Gesetz, das seit einem Jahr in Kraft ist, soll sie und ihre Kolleginnen vor Ausbeutung und Zwang schützen, doch bei den meisten Betroffenen stoßen die Regelungen auf Ablehnung: "Ich habe in Deutschland keine Meldeadresse, also kann ich mich auch gar nicht bei der Behörde registrieren", sagt die Bulgarin. So wie ihr gehe es vielen Frauen in dem Gewerbe. "Wenn wir ohne den Anmeldeschein erwischt werden, drohen uns Bußgelder. Das macht uns Angst." Die Bußgelder müssten sie wieder abarbeiten.

Das neue Prostituiertenschutzgesetz, das seit dem 1. Juli 2017 in Kraft ist, war von Anfang an umstritten. Das Gesetz sieht unter anderem eine Meldepflicht für Sexarbeiterinnen vor. Die Anmeldebescheinigung, die regelmäßig verlängert werden muss und mit Namen, Meldeadresse und einem Foto versehen ist, müssen die Prostituierten allerdings mit sich führen – und damit ihre Anonymität aufgeben. In der Szene wird die Bescheinigung deshalb nur "Hurenpass" genannt. Zudem werden die Frauen verpflichtet, regelmäßige gesundheitliche Beratungsgespräche wahrzunehmen.

Die Umsetzung des neuen Gesetzes kommt nur schleppend voran. "Dass es irgendwo reibungslos verläuft, kann ich nicht sagen", kritisiert Stephanie Klee, Vorsitzende vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen. "In einigen Bundesländern funktioniert gar nichts", berichtet sie. Nach Angaben des Vereins Dona Carmen (Frankfurt) liegt die Illegalisierungsquote, das heißt die Zahl derjenigen Sexarbeiterinnen, die trotz Registrierungszwang ohne "Hurenpass" in der Prostitution arbeiten, aktuell zwischen 60 und 80 Prozent, zumindest in den sechs Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Saarland.

In Hamburg haben seit Anfang November bis zum 20. Juni genau 943 Prostituierte an der Gesundheitsberatung teilgenommen, sagt Enrico Ickler, Sprecher von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Doch noch immer müssten die Betroffenen Wartezeiten von mehreren Wochen in Kauf nehmen. "Zukünftig ist geplant, zusätzlich zu den Beratungen mit Termin auch offene Sprechstunden anzubieten", sagt Ickler. Die Anmeldebescheinigung hätten bislang 542 Prostituierte erhalten – von geschätzten 6000 Prostituierten in Hamburg. Deutschlandweit sind es geschätzt 200.000. Bislang gebe es jedoch noch keine Kontrollen.

In den Beratungsgesprächen sollen auch Opfer von Zwangsprostitution ermittelt werden. Dafür sei der Rahmen jedoch nicht geeignet, meint die Expertin Stephanie Klee. "Die Frauen gehen ja mit dem Ziel zu der Beratung, einen Ausweis zu erhalten. Daher werden sie es bestimmt nicht angeben, falls sie Opfer von Zwangsprostitution sind", glaubt Klee. Da viele Frauen aus dem Ausland keine Meldeadresse vorweisen können, habe sich ein neues Geschäftsmodell zu ihren Lasten entwickelt, sagt Julia Buntenbach-Henke von der Beratungsstelle "Sperrgebiet Hamburg". "Den Prostituierten werden zum Teil Zustelladressen verkauft", erklärt die Projektleiterin.

Der Verein Dona Carmen, der sich für die Rechte von Prostituierten einsetzt, hat in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Gesetz eingereicht, über die noch in diesem Jahr entschieden werden soll. Neben der Anmeldepflicht für die Prostituierten kritisiert der Verein auch die neuen gesetzlichen Mindeststandards für die Eröffnung eines Bordells. "Dadurch ist mit einem Massensterben im Bereich der Wohnungsprostitution und kleiner, bislang unscheinbar betriebener bordellartiger Einrichtungen zu rechnen", teilte der Verein mit.

Der Bund hält sich mit einer Bewertung des Gesetzes – und der lauten Kritik daran – auffallend zurück. Aus dem Bundesfamilienministerium heißt es, die Umsetzung des Gesetzes falle in die Verantwortung der Länder. Und: Das Ressort verweist auf die geplante Evaluierung. Einen Zwischenbericht aus dem Ministerium soll es in einem Jahr geben, eine größere Betrachtung durch externe Experten dann ein paar Jahre später. Frauen wie Bianca hilft das vorerst nicht.