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Deutsche Einheit Aus zwei plus vier mach eins

Vor 25 Jahren wurde der Zwei-plus-Vier-Vertrag unterschrieben: Grundlage für die deutsche Wiedervereinigung.

Von Christoph Sator 10.09.2015, 23:01

Was in der Mathematik ein Ding der Unmöglichkeit ist, kann in der Diplomatie durchaus gelingen. Die „Zwei-plus-Vier“-Formel und der gleichlautende Vertrag waren im Herbst 1990 Grundlage dafür, dass das geteilte Deutschland wiedervereinigt werden konnte. An diesem Sonnabend ist es genau 25 Jahre her, dass sich die damals noch zwei deutschen Staaten und die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs über die außenpolitischen Aspekte der Einheit einig wurden.

Die Unterzeichnung des „Vertrags vom 12. September 1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ – so der recht spröde offizielle Titel – fand zur Mittagsstunde in einem schmucklosen Saal des Moskauer Hotels „Oktjabrskaja“ statt. Dabei waren Michail Gorbatschow, damals noch Präsident der Sowjetunion, sowie die Außenminister der sechs Länder, die über sieben Monate hinweg miteinander verhandelt hatten.

Es war keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass die Gespräche überhaupt zustande gekommen waren. Entscheidenden Anteil hatte neben Gorbatschow der damalige US-Präsident George Bush. Andere bundesdeutsche Verbündete – allen voran die Briten mit ihrer Premierministerin Margaret Thatcher – versuchten in den ersten Monaten nach dem Fall der Mauer im November 1989 noch, die Wiedervereinigung zu verhindern.

Viele im Westen hofften insgeheim auf ein „Njet“ aus Moskau. Oder auf Verhandlungen bis in alle Ewigkeit. Die Franzosen zum Beispiel waren dafür, die Debatte in die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute: OSZE) zu verlagern. Auch Niederländer und Italiener bestanden auf einer Beteiligung. Ihnen schleuderte Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher den denkwürdigen Satz „You are not part of the game!“ („Ihr seid nicht Teil des Spiels!“) entgegen.

Die Bundesregierung – damals noch in Bonn – lehnte es ab, über einen großen Friedensvertrag zu verhandeln. Dann hätten vermutlich all jene etwa 40 Staaten mitreden dürfen, mit denen sich Nazi-Deutschland zum Zeitpunkt der Kapitulation 1945 im Krieg befand. Eine solche „Weltkonferenz“ wollten Kohl und Genscher nicht. „Wahrscheinlich würden wir heute noch am Verhandlungstisch sitzen und beraten“, meint der FDP-Mann in seinem neuesten Buch („Meine Sicht der Dinge“) dazu.

So wurde bei einem großen Ost-West-Außenministertreffen im Februar 1990 in Ottawa (Kanada) die 2+4-Formel aus der Taufe gehoben – eine Serie von Konferenzen, an deren Ende sich die Alliierten von ihren Siegerrechten verabschieden sollten.

Genscher legte großen Wert darauf, dass die 2 vorne stand. „Ich hielt das für wichtig. Damit nicht bei irgendeiner der vier Mächte die Vorstellung entstehen konnte, dass sich zwei Verhandlungstische gegenüber stehen, von denen der eine zehn Zentimeter niedriger ist als der andere.“

Wer genau die Idee dafür hatte, ist bis heute nicht ganz geklärt. Die Franzosen jedenfalls waren es nicht. Sie sprachen demonstrativ von „4+2“ statt „2+4“. Doch nach dem ersten Sechsertreffen auf Ministerebene Anfang Mai in Bonn ging es erstaunlich schnell. Es folgten nur noch drei weitere Runden, in Ost-Berlin, Paris und schließlich in Moskau. In Paris, als es um die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze als Ostgrenze Deutschlands ging, waren ausnahmsweise auch die Polen dabei.

Auf die bereits geplanten Begegnungen in London und Washington konnte man verzichten. Den Deutschen gelang es überraschend schnell, die Alliierten davon zu überzeugen, dass die internationale Stabilität durch die Wiedervereinigung nicht gefährdet würde. Es fehlte aber auch nicht an Dramatik: Praktisch erst in letzter Minute, schon in Moskau, gaben die Briten ihre Forderung auf, in Ostdeutschland Nato-Manöver abhalten zu dürfen.

Im ausgehandelten Vertrag heißt es gleich zu Beginn: „Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen.“ Dann folgten gerade mal zehn Artikel und eine Protokollnotiz.

Damit wurde geregelt, dass die Bundesrepublik keine Gebietsansprüche mehr erhebt, auf den Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtet und die Bundeswehr auf höchstens noch 370 000 Soldaten reduziert. Im Gegenzug gaben die vier Mächte Deutschland die volle Souveränität zurück. Die Sowjets versprachen – gegen viel Geld -, ihre Truppen bis Ende 1994 aus Ostdeutschland abzuziehen.

Zur Unterzeichnung im „Oktjabrskaja“ (heute das Hotel „President“) gab es dann halbtrockenen Sekt von der Krim. Die meisten Beteiligten begnügten sich mit einem kleinen Schluck. Genscher – wie auch der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière (CDU) als amtierender Außenminister – steckte als Erinnerung den Füllfederhalter ein.

Drei Wochen später war Deutschland nach 45 Jahren der Teilung wieder vereint. Die Rechnung 2+4=1 war aufgegangen. (dpa)