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Flüchtlingskrise Haseloff: "Belastungsgrenze ist erreicht"

Nach Ansicht von Ministerpräsident Haseloff kann Sachsen-Anhalt künftig jährlich 8000 bis 11 000 neue Asylbewerber bewältigen.

Von Jens Schmidt 08.10.2015, 01:01

Volksstimme: Herr Ministerpräsident, die Flüchtlingsprognosen steigen und steigen. Bis zum Ende des Jahres wird Sachsen-Anhalt etwa 30 000 Menschen aufnehmen. Geht das immer so weiter?

Reiner Haseloff: Das darf nicht so weiter gehen. Unsere Belastungsgrenze ist definitiv erreicht. Das sagen mir auch alle Landräte und Oberbürgermeister. Die Aufnahmefähigkeit in den Kommunen ist erschöpft.

Es werden Forderungen laut, den Flüchtlingszuzug in die EU durch jährliche Kontingente zu begrenzen. Was halten Sie davon?

Das unterstütze ich ganz klar. Wir müssen unterscheiden zwischen Asylberechtigten und Kriegsflüchtlingen. Politisch Verfolgte bekommen Asyl, das ist in unserem Grundgesetz geregelt. Dafür gibt es keine Obergrenzen. Politisch verfolgt sind aber die wenigsten von denen, die jetzt zu uns kommen.Die allermeisten sind Kriegsflüchtlinge. Bei uns hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis August 2015 insgesamt 5597 Fälle entschieden: Darunter waren gerade mal 11 Asylberechtigte. 2185 Menschen erhielten den Status als Kriegsflüchtling – dies sind vor allem Syrer. Wir müssen hier zu Obergrenzen und gerechten Kontingenten für Europa und innerhalb Europas kommen.

Welche jährliche Obergrenze wäre für Sachsen-Anhalt vernünftig?

Eine exakte Zahl zu nennen, ist sicherlich schwierig …

30 000?

Nein, das sicher nicht. Das wäre viel zu hoch, wenn wir eine vernünftige Integration hinbekommen wollen.

Anfang des Jahres lagen die Prognosen noch zwischen 8000 und 11 000. Da schienen alle noch recht entspannt – wäre das eine realistische Größe?

Das wäre sicherlich eine Größenordnung, die wir bewältigen können. Es geht ja nicht nur um Unterkünfte, es geht um Sprache lernen, Ausbildung, Jobs. Eine gute Integration liegt mir am Herzen, sie ist für alle wichtig. Unser Land kann ruhig bunter werden, aber die hier seit vielen Jahren Lebenden wollen auch, dass ihre Identität und Kultur bewahrt bleiben. Es hat sich nach vielen Jahren und Mühen eine Nation herausgebildet, und die meisten möchten diese erhalten. Ich denke, viele sind bereit, in einer Notsituation zu helfen; aber wir können nicht Jahr für Jahr alle Notleidenden der Welt bei uns aufnehmen. Das hält kein Land aus.

Der Zustrom reißt aber nicht ab. Muss auch Deutschland wieder Grenzzäune ziehen?

Es gibt die klare Forderung, die Außengrenzen des Schengen-Raums zu sichern. Wie das technisch umgesetzt werden muss, ist nicht meine Angelegenheit. Da gibt es eine klare außenpolitische Verantwortung. Wir haben die nationalstaatlichen Grenzen abgeschafft, weil es Schengen gibt. Doch Schengen funktioniert derzeit nicht. Das muss sich ändern.

Und falls es sich auch 2016 nicht ändert: Bleibt als letztes Mittel doch nur der deutsche Grenzzaun?

Wenn sich das Schengen-System als untauglich erweist, ist die Bundesregierung in der Pflicht, zu handeln. Das Schengen-Abkommen sagt, dass nationale Grenzen zeitweise wieder eingerichtet werden können, wenn Schengen nicht funktioniert. Wie das in Deutschland geschehen soll – ist Sache des Bundes. Eines ist klar: So, wie es jetzt läuft, darf es nicht weitergehen.

Sachsen-Anhalt hat bislang weniger Flüchtlinge aufgenommen, als der Verteilungsschlüssel vorsieht. Warum?

Das lag nicht an uns. Wegen des enormen Zustroms in Bayern konnte die Verteilung nicht mehr präzise klappen. Aber das wird korrigiert. Das heißt, Sachsen-Anhalt wird – wie festgelegt – knapp drei Prozent aller in Deutschland Ankommenden aufnehmen. Der Bund, der jetzt die Verteilung steuert, hat die Aufgabe, die Kontingente innerhalb eines Monats auszusteuern. Das klappt nocht nicht ganz. Das bedeutet aber auch, dass diejenigen, die kein Bleiberecht haben, schnellstens nach Hause zurückgeführt werden müssen. Dafür brauchen wir schnellere Entscheidungen durch das BAMF. Dann bekommen wir auch mehr Platz für die Flüchtlinge. Die Devise muss jetzt lauten: Begrenzen - Beschleunigen – Rückführen, und natürlich für die Bleiberechtigten Intensivierung der Integration durch verbesserte Programme der Bundesagentur und der Jobcenter.

Wie groß ist der Entscheidungsstau?

Bis zum 31. August hat das BAMF, wie gesagt, 5597 Fälle entschieden. Die Zahl der Flüchtlinge lag damals schon doppelt so hoch. 1711 Anträge wurden abgelehnt. Das betrifft vor allem Asylbewerber aus Balkanstaaten. Würden die Abgelehnten schneller nach Hause zurückgeschickt, hätten wir hier sofort deutlich mehr Platz für Flüchtlinge.

Schnelle Heimreisen scheinen illusorisch. Ihr Innenminister merkt an, dass alle deutschen Bundesländer zusammen pro Tag nur maximal 70 Albaner nach Hause fliegen dürfen.

Solche Abschiebehemmnisse müssen beseitigt werden. Da ist der Bundesaußenminister gefordert. Von einem Land wie Albanien, das in die EU strebt, dürfen wir einen konstruktiven Umgang mit diesem Problem erwarten.

Lindert der Zuzug der vielen Flüchtlinge den Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalts Unternehmen?

Partiell ja. Aber eine durchgängige, schnelle Integration in den Arbeitsmarkt wird nach meiner Einschätzung nicht möglich sein. Auch nicht in den westdeutschen Arbeitsmarkt. Das Erlernen unserer Sprache und die berufliche Qualifizierung werden viel Zeit kosten. Eine Integration, wie wir sie uns idealtypisch vorstellen, wird bei diesem starken Zustrom nicht machbar sein. Daher müssen wir den Zuzug auf das Maß der zurückliegenden Jahre ganz schnell zurückführen.

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