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SED-Machthaber Krenz: "Befehl zur Gewaltlosigkeit gegeben"

Egon Krenz wird 80 Jahre alt. Der letzte DDR-Staatsratsvorsitzende sieht das heutige Bild des Landes als ungerecht an.

18.03.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Wenn Egon Krenz Geschichten über die DDR liest oder hört, meint er oft, dass über ein anderes Land berichtet wird. Nicht über das Land, das er mitgeprägt hat und an dessen Spitze er in der Wendezeit als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und als Vorsitzender des Staatsrates stand. „Ich erwarte keine Loblieder. Die Wahrheit aber schon.“ Diese Wahrheit sei viel differenzierter, als sie in den Medien oder der Politik heute widergespiegelt werde. „Es hat nicht nur Widerständler gegeben, sondern Millionen Menschen, die gerne in der DDR gelebt und das Land aufgebaut haben“, betont Krenz, der als ein treuer Gefolgsmann von Erich Honecker (1912-1994) galt. Am Sonntag wird er 80 Jahre alt.

Vor allem die Politik lässt den rüstigen Krenz, dessen Frau Erika vor knapp zwei Wochen starb, nicht los. Er gehe auf Versammlungen, halte Vorträge und freue sich über – wie er berichtet – meist ausverkaufte Veranstaltungen. Seine Meinung zähle noch im Osten – vor allem bei den Älteren. Oft treffe er Leute, die sagten, dass es schade sei, dass es die DDR nicht mehr gebe. „Das Gerechtigkeitsgefühl ist noch sehr ausgeprägt.“ Das gelte vor allem dann, wenn es um den Vergleich mit der Bundesrepublik geht. „Es wird immer so getan, als sei der Weg der Bundesrepublik eine einzigartige Erfolgs- und der der DDR eine einzige Negativgeschichte – so undifferenziert ist es nicht gewesen.“

Zur historischen und nicht gewürdigten Wahrheit gehört für Krenz auch seine Rolle am 9. November. „Ich wäre laut Verfassung verpflichtet gewesen, die Grenzen der DDR zu schützen.“ Er sei im Besitz der militärischen Gewalt gewesen und hätte den Befehl geben können. „Ich habe einen Befehl zur Gewaltlosigkeit gegeben. Jedoch nicht, damit deutsche Soldaten wieder wie in Afghanistan im Ausland sterben.“

In der historischen Einschätzung wird er von Martin Sabrow von der Humboldt-Universität Berlin und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam zumindest in einem Punkt gestützt. Krenz habe im entscheidenden Moment dafür gesorgt, dass die Waffen geschwiegen haben. „Er hat den Untergang der DDR der militärischen Option vorgezogen – das ist sein Verdienst und es trug zu dem historischen Wunder bei, dass der Kommunismus in Europa lautlos Abschied von der Macht nahm.“ Aber, sagt Sabrow, Krenz hätte auch nicht anders gekonnt: Er hätte seine Rolle als Reformer zerstört, wenn er die militärische Karte gespielt hätte.

Dass es Missstände in der DDR und viele Unzufriedene gegeben hat, streitet Krenz nicht ab. Aber die anderen Staaten seien auch nicht besser. Das gelte selbst für das Geheimdienstsystem der Stasi, unter dem in der 40-jährigen Geschichte nach Einschätzung von Historikern eine siebenstellige Zahl von politisch Verfolgten zu leiden hatte. Er streite nicht ab, dass es bei der Staatssicherheit Dinge gegeben hat, die nicht gutzuheißen sind. „Aber wir haben doch auch heute Geheimdienst-Probleme in Deutschland“, sagt Krenz. Und auch die DDR habe selbstverständlich ein Sicherheitsbedürfnis gehabt.

„Damit verkennt Krenz den gravierenden Unterschied zwischen der Geheimpolizei einer Diktatur und den Geheimdiensten von Demokratien“, sagt der Chef der Rostocker Stasi-Unterlagenbehörde, Volker Höffer. Das entscheidende Augenmerk einer Geheimpolizei wie der Stasi liege auf der Überwachung und Verfolgung der eigenen Bevölkerung. Höffer kritisiert weiter, dass Krenz eine differenzierte Sichtweise auf die DDR fordert, selbst aber dazu nicht fähig sei.

Krenz verweist auf die unzufriedenen Menschen, die in Deutschland und Europa der Gegenwart leben. Zu DDR-Zeiten habe es mit der Bundesrepublik eine System-Alternative gegeben. Das gebe es heute nicht mehr.