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Venezuela Für einen US-Dollar gibt es 3000 Liter Benzin

Im Krisenstaat Venezuela gibt es jetzt zwei Parlemente. Die Inflation erhält neuen Auftrieb.

06.08.2017, 23:01

Caracas (dpa) l Da stehen sie Seit an Seit, recken die rechte Faust, halten Bilder von Hugo Chávez hoch. Ganz vorn Delcy Rodríguez, die knallharte Ex-Außenministerin von Präsident Nicolás Maduro, im roten Hosenanzug. Seine Vertraute, die nun eine Mission hat: Die Revolution retten. Wo früher Panzer in Südamerika für Umstürze sorgten, putscht in Venezuela die Regierung quasi gegen die eigene Verfassung.

Mit einem scheindemokratischen Akt, für viele ein Putsch auf Raten. Rodríguez ist nun die Vorsitzende einer 545 Mitglieder umfassenden „Volksversammlung“, in der aber nur ein Teil des Volkes sitzt, die Anhänger der Sozialisten. Sie ziehen, streng gesichert von Soldaten, in das von der Opposition dominierte Parlament ein. Es ist entmachtet.

In der ersten Arbeitsitzung wird Generalstaatsanwältin Ortega Díaz am Sonnabend abgesetzt, Rodríguez kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ihre Konten werden eingefroren und sie darf das Land nicht verlassen. Maduro wird zum Paria des Westens, aber Länder wie China und Russland halten zum Zorn der USA ihre Hand über ihn. China investiert Milliarden und bekommt dafür Öl. „Venceremos“ („Wir werden siegen“), lässt Maduro wissen.

Offiziell soll die Versammlung die Verfassung neu schreiben, aber für diese Zeit hat sie zugleich weitgehende Entscheidungsvollmachten – sie könnte auch die Immunität bisheriger Abgeordneter aufheben, die Proteste auf der Straße organisiert haben. Wiederholt sprach Maduro von reservierten Gefängniszellen.

Caracas, nach dieser Stunde null, sieht so aus: Eine resignierte, über die weitere Taktik streitende Opposition, die erstmal nicht mehr demonstriert. Militär auf den Straßen. Ein Rezept zur Lösung der dramatischen Krise hört man von Maduro dagegen nicht. Im Land mit den größten Ölreserven der Welt werden über das Internet Hilferufe nach Medikamenten abgesetzt, die Kindersterblichkeit steigt rasant. „Sie interessiert mehr die Geste, die Bilder von Chávez wieder in der Nationalversammlung aufzuhängen, als die schreckliche Krise des Landes zu lösen“, meint der bekannte Schriftsteller Leonardo Padrón.

Die Inflation, die höchste der Welt, explodiert derart, dass der monatliche Mindestlohn im Juli von 65.021 Bolivares auf 97.531 Bolivares angehoben werden musste. Das sind aber auch nur noch 6,50 Dollar, weil nach dem Start der Versammlung der Dollarkurs auf dem Schwarzmarkt in Venezuela extrem in die Höhe geschossen ist. Ein Indiz, dass mit Massenfluchten und einem Run auf Devisen gerechnet wird. Nebeneffekt: Für einen Dollar kann man dieser Tage 3000 Liter Benzin tanken, das ist kein Scherz. Viel ist nun vom zweiten Kuba die Rede, aber eigentlich ist es ein Land in Anarchie mit Mafia-ähnlichen Strukturen.

Um die treuen Anhänger in den Armenvierteln bei der Stange zu halten, gibt es das „Carnet de Patria“, eine Art „Ich-halte-zu-Maduro-Ausweis“: Wer seine Unterstützung zusichert, bekommt hierüber stark vergünstigte Lebensmittelpakete.