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Arbeit Neue Perspektive für „Abgehängte“?

Die Bundesregierung will 150.000 Jobs in der freien Wirtschaft, gemeinnützigen Einrichtungen und Kommunen mit Zuschüssen fördern.

04.05.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Christa Gall arbeitete über zweieinhalb Jahrzehnte als Altenpflegerin. Doch als ihr Mann krank wurde, pflegte sie ihn und hörte auf zu arbeiten. Fast zehn Jahre ging das so, bis er 2015 starb. „Und dann saß ich auf der Straße, wohnungslos“, sagt sie. Einen Job hat sie seither nicht wieder bekommen. So wie ihr geht es Hunderttausenden in Deutschland. Es sind die Abgehängten, im Behördendeutsch: die Langzeitarbeitslosen. Jetzt will die Koalition sie wieder in die Normalität führen. Was ist geplant – und wie realistisch ist das Vorhaben?

Eine Wohnung hat Christa Gall zwar mittlerweile wieder, mit einer anderen Arbeitslosen, wie sie in einer ARD-Reportage erzählt. Doch einen Job weiter nicht. Die beiden Frauen gehen Pfandflaschen sammeln – aus Scham erst, wenn es dunkel ist. „Und das in so einem reichen Land wie Deutschland“, sagt Gall. „Eine Schande ist das.“

Bei Union und SPD kamen bei den Koalitionsverhandlungen zwei Ziele zusammen. CDU und CSU hatten im Bundestagswahlkampf Vollbeschäftigung in Deutschland bis 2025 versprochen. Angesichts von 809.000 Langzeitarbeitslosen mit mehr als einem Jahr ohne Job im Jahresschnitt 2017 war klar: Für Vollbeschäftigung muss dieses Problem angegangen werden, auch wenn die Zahl der Betroffenen etwas gesunken ist. Die SPD wollte mit einem sozialen Arbeitsmarkt ohnehin neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose ohne realistische Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt schaffen.

So einen sozialen Arbeitsmarkt will die Koalition nun errichten: Mit Lohnkostenzuschüssen sollen rund 150.000 Jobs in der freien Wirtschaft, gemeinnützigen Einrichtungen und Kommunen entstehen. Es geht um jene, die über Jahre ohne Arbeit sind, deren Chancen von Jahr zu Jahr sinken, die zunehmende Isolation spüren. Vier Milliarden Euro sind dafür vorgesehen, startend mit 300 Millionen im Haushalt 2018.

Die Zahl der Menschen ohne Job über drei Jahre stieg von 298.000 im Jahr 2011 auf nun 317.000 Menschen. Da hört es sich zwar bescheiden an, nur etwas mehr als die Hälfte auf einem sozialen Arbeitsmarkt unterzubringen. Doch das ist es nicht: So einen Jobmarkt ohne Folgeschäden zu errichten, ist alles andere als einfach.

„Wir wollen keinen abgeschotteten Parallelarbeitsmarkt oder Sonderwelten schaffen“, sagt der Chef der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Fraktion, Uwe Schummer. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist sich der Schwierigkeiten bewusst: „Wir wollen eine Lösung finden, die tatsächlich nicht verpufft, sondern praxisgerecht die Weichen so stellt, dass die Betroffenen aus dieser Situation herauskommen.“ Die geplanten Lohnkostenzuschüsse sollen über einen Zeitraum von fünf Jahren gewährt werden – und „an der einen oder anderen Stelle abgesenkt werden über die Jahre“, erläutert Heil. Verfestigte Subventionierung soll vermieden werden. Doch was soll das sein, ein sozialer Arbeitsmarkt im Deutschland des Jahres 2018?

„Wir können nicht alle Parks öffentlich gefördert reinigen lassen, das würde reguläre Arbeitsplätze verdrängen“, sagt der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele. Einsatzmöglichkeiten bei frühkindlicher Bildung, Erziehung, Pflege sieht Scheele eher nicht. „Die Personengruppe ist ja eher schlecht ausgebildet, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit müssen häufig erst wieder eingeübt werden.“ Aber mit einfacheren Handwerks- oder Ausbautätigkeiten könnte es gehen. „Es gibt passende Aufgaben“, sagt der BA-Chef.

Scheele meint: Man muss sich an der Lage in der jeweiligen Stadt orientieren. „Wenn es in einer Region beispielsweise 30 000 Maler gibt, könnte man dort wohl unbeschadet 15 zusätzliche Stellen als Maler einrichten.“ Die Preise dürften jene des Handwerks dann nicht unterbieten. Schwerpunkte sieht der BA-Chef etwa im Ruhrgebiet, Bremerhaven und einigen Regionen in Ostdeutschland.

Das Ziel laut Scheele: Rückkehr der Betroffenen in die Normalität. „Die Integration in den regulären Arbeitsmarkt steht bei diesem Personenkreis zunächst nicht im Vordergrund.“ Widerspruch kommt da von der Union. „Unser Ziel ist, die Betroffenen wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln“, sagt der CSU-Sozialexperte Stephan Stracke. Heil will bis Sommer einen Sozialer-Arbeitsmarkt-Gesetzentwurf vorlegen. „Wir orientieren uns auf Vermittlung und Teilhabe, weil beides richtig ist“, sagt er. Die Debatte bleibt.