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Arbeitsmarkt Am Tropf der Zuwanderung

Arbeitsagentur-Chef Kay Senius warnt vor einem dramatischen Arbeitskräftemangel in Sachsen-Anhalt und setzt auf Zuwanderung.

Von Alexander Walter 19.01.2018, 00:01

Halle l Die Beschäftigung in Sachsen-Anhalt hat 2017 mit fast 793.000 einen neuen Höchststand erreicht, gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit um 12 Prozent. Paradiesische Zustände, möchte man meinen, die Wirtschaft darf sich zufrieden zurücklehnen. – Doch weit gefehlt. Denn: Der Beschäftigungszuwachs fällt mit einem Plus von 1,1 Prozent deutlich niedriger aus als im Rest des Ostens (2,1 Prozent) oder im Bund (2,3 Prozent). Grund für die gesunkene Arbeitslosigkeit ist außerdem zuallerst das Ausscheiden älterer Arbeitskräfte aus dem Arbeitsmarkt.

Nach Einschätzung von Kay Senius, Chef der Arbeitsagentur in Thüringen und Sachsen-Anhalt, wird sich die Entwicklung in Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren zu einem „Riesenproblem“ auswachsen. „Bis 2030 werden wir rund 300.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter verlieren“, sagte Senius gestern in Halle. Besonders betroffen: ländliche Regionen. In vielen Kreisen wird die Zahl der Erwerbsfähigen um 25 bis 30 Prozent fallen. Einzig die Großstädte Magdeburg und Halle werden das Niveau einigermaßen halten können.

Die Folgen deuten sich bereits heute an: 300.000 Stellen im Land wären aktuell zu besetzen, es gibt aber nur rund 92.000 Arbeitslose. Die Folge: Stellen bleiben immer länger unbesetzt. Mussten Firmen, die Klempner oder Heiztechniker suchen, noch 2016 im Schnitt 138 Tage bis zu einer erfolgreichen Stellenbesetzung warten, waren es 2017 bereits 50 Tage mehr (188).

Es müssen also Arbeitskräfte her. Aber woher sollen sie kommen? Nach Analysen der Arbeitsagentur kommen bei den vorhandenen Lösungsmöglichkeiten viele nur bedingt infrage: Firmen könnten etwa Frauen ermutigen, häufiger eine Arbeit aufzunehmen. Ihre Beschäftigungsquote ist in Sachsen-Anhalt – anders als in den alten Ländern – aber bereits auf hohem Niveau. Viel mehr geht nicht.

Auch durch die Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit ließe sich nur begrenzt zusätzliche Arbeitskraft im Land generieren. Denn Teilzeit heißt im Osten meist bereits 30 statt 20 Wochenstunden. Selbst bei Ausschöpfung aller Mittel „wird die Wirtschaftskraft des Landes aufgrund fehlender Fachkräfte nicht auf dem aktuellen Niveau zu halten sein“, lautet die nüchterne Bilanz der Arbeitsagentur.

Bleibt die Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland. Weil fast alle europäischen Staaten ähnliche demografische Probleme wie Deutschland haben, hat die Agentur dabei vor allem Drittländer außerhalb Europas im Blick.

Das Problem: Zuwanderern gilt Sachsen-Anhalt oft nicht als sonderlich attraktiv. Neben dem Lohnniveau und einer bereits vorhandenen ausländischen Gemeinschaft ist ihnen eine glaubwürdige Willkommenskultur besonders wichtig. Bei letzterer gebe es „auf allen Ebenen Verbesserungsbedarf“, betonte Senius. „Ich wünsche mir ein deutliches Signal der Politik, dass Zuwanderer erwünscht sind.“ Um andere Wettbewerbsnachteile auszugleichen, hält Senius daneben auch finanzielle Anreize für denkbar. „Wir brauchen Zuwanderung, damit das Land nicht den Anschluss verliert.“