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Ausstieg USA kündigen Abrüstungsvertrag mit Russland

Die USA machen ernst und erklären ihren Ausstieg aus einem der wichtigsten nuklearen Abrüstungsabkommen mit Russland.

01.02.2019, 23:01

Washington (dpa) l Die USA haben offiziell eines der wichtigsten Abrüstungsabkommen mit Russland aufgekündigt und damit Befürchtungen einer atomaren Aufrüstung in Europa ausgelöst. Bis der INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen endgültig ausläuft, bleiben aber – zumindest theoretisch – noch sechs Monate Zeit für eine mögliche Beilegung des Streits. US-Präsident Donald Trump und Außenminister Mike Pompeo kündigten am Freitag in Washington an, die USA fühlten sich von diesem Samstag an nicht mehr an die Verpflichtungen des Vertrags gebunden.

Zugleich riefen sie Russland auf, einzulenken und bis August zur Einhaltung der Vertragsbedingungen zurückzukehren. Die Nato-Partner stellten sich geschlossen hinter den Schritt der Amerikaner. Russland drohte umgehend mit Konsequenzen – ohne aber konkret zu werden.

Der Vertrag verbietet Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern und untersagt auch die Produktion und Tests solcher Systeme. Die Abkürzung INF steht für "Intermediate Range Nuclear Forces", auf Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme. Die USA und die damalige Sowjetunion hatten den Vertrag 1987 geschlossen.

Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen seit langem vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen die Vorgaben des Vertrags zu verstoßen. Die Raketen sollen nach Angaben aus den USA mindestens 2600 Kilometer weit fliegen können und wären damit in der Lage, nahezu alle Hauptstädte in Europa zu treffen. Die russische Regierung weist die Vorwürfe zurück und versichert, die Reichweite der 9M729 liege knapp unter 500 Kilometern, was vertragskonform wäre.

Die USA hatten Russland Anfang Dezember ein 60-Tage-Ultimatum bis zu diesem Samstag gesetzt, um sich wieder an die Vertragsbedingungen zu halten. Die Frist ist nach US-Ansicht aber ergebnislos verstrichen. Am Samstag will die US-Regierung die Russen auf diplomatischem Weg auch formell über ihre Entscheidung informieren, wie es hieß.

Pompeo beklagte, die USA hätten über Jahre auf die Vertragsuntreue der Russen hingewiesen und sich um Klärung bemüht. Russland habe sich aber nicht bewegt. "Es ist unsere Pflicht, auf angemessene Weise zu reagieren", sagte er. Auch Trump beklagte, "eine Seite" habe sich nicht an die Abmachungen in dem Vertrag gehalten.

In einer schriftlichen Mitteilung erklärte Trump, die USA gingen nun voran bei der "Entwicklung eigener militärischer Antwort-Optionen". Das Pentagon hat bereits Ende 2017 die Grundlage gelegt, Forschungspläne für ein neues mobiles landgestütztes System vorantreiben zu können. Aus US-Regierungskreisen hieß es am Freitag aber, man sei noch ein Stück weit von konkreten Schritten entfernt.

Offiziell aufgelöst wird das INF-Abkommen laut Vertragstext erst sechs Monate nach der Aufkündigung. Damit bleibt noch etwas Verhandlungsspielraum, um den Vertrag womöglich noch zu retten. Aus dem Weißen Haus hieß es, dies sei nun "Russlands letzte Chance".

Pompeo sagte, die USA hofften, die Beziehung zu Russland wieder auf eine bessere Basis zu stellen. Aber es sei nun an Moskau, den Kurs zu ändern und wegzukommen von einem "destabilisierenden Vorgehen".
Trump sagte: "Ich hoffe, dass wir es schaffen, alle in einem großen und schönen Raum zu versammeln und einen neuen Vertrag zu schließen, der viel besser ist." Daran müssten sich dann aber auch alle halten.


In einer Erklärung der Nato hieß es, die Verbündeten unterstützten den Schritt der USA uneingeschränkt. Die Nato-Staaten forderten Russland ebenfalls auf, die verbleibenden sechs Monate zu nutzen, um alle Systeme vom Typ 9M729 zu vernichten. Wenn das Land dies nicht tue, trage es die alleinige Verantwortung für das Ende des Vertrages.

Alle bisherigen Versuche, den Streit beizulegen, waren erfolglos. Russland hatte in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass es die US-Vorwürfe als haltlos betrachtet und nicht daran denkt, seine Marschflugkörper zu vernichten. Dass Russland in der Auseinandersetzung noch einlenkt, gilt daher als unwahrscheinlich.

Das russische Außenministerium drohte stattdessen umgehend mit Konsequenzen. "Wenn sich die amerikanische Seite aus dem INF-Vertrag zurückzieht, behält sich Moskau das Recht vor, entsprechend zu reagieren", sagte Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa russischen Medien zufolge – ohne konkrete Schritte zu nennen. Es sei Teil des amerikanischen Konzepts, möglichst viele internationale Abkommen zu brechen und aufzukündigen. Zugleich wies sie die Forderung zurück, alle Waffensysteme vom Typ 9M729 zu vernichten, und verlangte abermals von den USA Beweise für die Anschuldigungen: "Es gibt keinen einzigen Beweis – kein Satellitenbild, keine Aufnahmen."

Von Kritikern wird den USA unterstellt, selbst kein besonders großes Interesse an dem INF-Vertrag in seiner derzeitigen Form zu haben. Das liegt vor allem daran, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China.

Bei einem endgültigen Aus des Vertrags befürchten Experten einen neuen und hochgefährlichen Rüstungswettlauf. Die Frontfrau der Demokraten im US-Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, warf der Trump-Administration vor, mit der Vertragskündigung ein Wettrüsten zu riskieren und die internationale Stabilität zu untergraben.

Für Europa ist die Aufkündigung des Vertrags brisant, weil diese wohl eine Diskussion über atomare Aufrüstung in Europa nach sich ziehen wird. Nach Auffassung von Militärs ließen sich nämlich nur so langfristig ein strategisches Gleichgewicht und Abschreckung sichern.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits kurz vor der Ankündigung der USA betont, man wolle auch nach einer Aufkündigung des Vertrages alles tun, um die verbleibende sechsmonatige Frist für Gespräche mit Moskau zu nutzen. Russland habe den Vertrag verletzt, deswegen müsse man mit Moskau weiter reden. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) gab Russland die Schuld für das Scheitern des INF-Vertrags.