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Brexit 100.000 Jobs bei No-Deal in Gefahr

Bei einem Brexit ohne Abkommen wären 100.000 Jobs in Deutschland bedroht - auch in Wolfsburg.

10.02.2019, 23:01

Halle (dpa) l In Deutschland sind einer Studie zufolge die Arbeitsplätze von mehr als 100.000 Menschen durch einen Brexit ohne Abkommen bedroht. Über die Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berichtete die „Welt am Sonntag“. „In keinem anderen Staat ist der Effekt auf die Gesamtbeschäftigung so groß wie in Deutschland“, sagte einer der Studienautoren, Oliver Holtemöller.

Nach einem ungeregelten Brexit würden wieder Zölle auf Importe nach Großbritannien erhoben. Die Simulation der Wissenschaftler erfasse nur Jobeffekte, die auf den daraus folgenden Exporteinbruch zurückzuführen seien. Weitere Brexit-Gefahren für den Arbeitsmarkt, etwa sinkende Investitionsbereitschaft, bildeten die Zahlen nicht ab.

In Deutschland wäre demnach von einem Exportrückgang vor allem die Autoindustrie betroffen. Die größten Auswirkungen gäbe es – gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten – am VW-Standort Wolfsburg und am BMW-Standort Dingolfing-Landau in Niederbayern. Für Wolfsburg habe die Formel ergeben, dass 500 Arbeitnehmer potenziell betroffen seien, für Dingolfing-Landau sind es 265.

In beiden Fällen entspräche das rund 0,4 Prozent der gesamten Beschäftigten. Viele Arbeitnehmer (726 oder rund 0,3 Prozent) müssten auch im Landkreis Böblingen bei Stuttgart um ihre Jobs fürchten. Dort sitzen Technologiekonzerne wie IBM oder Siemens, auch Daimler hat ein Werk. Ähnlich sei die Situation im Märkischen Kreis im südlichen Westfalen, wo viele mittelständische Unternehmen mit Auslandsgeschäft sitzen – laut der Formel sind hier 703 Stellen oder 0,3 Prozent der Beschäftigten potenziell bedroht.

Zusammengefasst: Gefahren sehen die Wissenschaftler vor allem für Landkreise in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Jobs in Ostdeutschland seien dagegen kaum gefährdet.

Nach Deutschland sei Frankreich das EU-Land, dessen Arbeitsmarkt durch einen ungeregelten Brexit am stärksten bedroht sei. Hier seien fast 50.000 Arbeitnehmer betroffen. In China seien es knapp 59.000. Weltweit gehe es den Berechnungen zufolge um 612.000 Menschen, die nach einem ungeregelten Brexit ihren Job verlieren könnten.

Die Zahlen sind Ergebnisse einer Simulationsrechnung: Für die Untersuchung sind die Autoren davon ausgegangen, dass die Importe Großbritanniens nach einem ungeordneten Brexit um 25 Prozent einbrechen – ein Wert, der gängigen wissenschaftlichen Schätzungen entspreche.

Sie entwickelten eine Formel, mit der sie berechnen konnten, wie sich ein solcher Importeinbruch auf welche Industrie und welches Land auswirkt.

Andere Brexit-Nachrichten dürften Arbeitnehmern in der EU dagegen Hoffnung machen. Das niederländische Wirtschaftsministerium teilte am Sonnabend mit, dass 42 britische Unternehmen seit 2018 in die Niederlande umgezogen seien. Damit waren demnach rund 291 Millionen Euro Investitionen verbunden, etwa 2000 neue Arbeitsplätze seien geschaffen worden.

Die britische Premierministerin Theresa May will das Parlament in London Medienberichten zufolge derweil noch einmal um mehr Zeit für Nachverhandlungen mit der EU zum Brexit bitten. Das berichteten unter anderem die BBC und der „Telegraph“ am Sonntag unter Berufung auf Regierungsquellen. May will spätestens am Mittwoch eine Erklärung im Parlament über den Stand der Verhandlungen abgeben.

Menschen in Großbritannien fangen unterdessen an zu hamstern. Ein Unternehmen, das sogenannte Brexit-Notfall-Kisten verkauft, meldete ein stark gestiegenes Interesse. Insgesamt 600 Kisten hat die Firma nach eigenen Angaben bereits verkauft.

Im Fall eines harten Brexits könnten Zollkontrollen Prognosen zufolge binnen kurzer Zeit zu Megastaus etwa in der Hafenstadt Dover führen und den Warenverkehr von und zum europäischen Festland ausbremsen. Patienten wurde bereits geraten, bestimmte Arzneimittel zu horten. Viele Firmen sorgen sich um Lieferteile, die etwa für die Autoherstellung knapp werden könnten.

Hunger – so meinen Experten – müssten die Briten allerdings selbst bei einem ungeregelten EU-Austritt nicht leiden.