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Brexit Für Robra geht nicht einfach das Licht aus

Wie wird sich der Brexit auf Sachsen-Anhalt auswirken? Darüber sprach Steffen Honig mit Landeseuropaminister Rainer Robra.

06.07.2016, 23:01

Volksstimme: Großbritannien ist zweitgrößter Exportpartner Sachsen-Anhalts. Welche Folgen wird der Brexit darauf haben?

Rainer Robra: Die Exporte Sachsen-Anhalts nach Großbritannien hatten 2015 einen Umfang von 1,2 Milliarden Euro und damit 7,8 Prozent unseres Gesamtexportes. Hauptsächliche Exportgüter waren metallische, chemische und pharmazeutische Erzeugnisse sowie Nahrungsgüter. Die meisten Unternehmen sehen unmittelbar noch keine Beeinträchtigungen ihrer Zusammenarbeit mit den Briten. Es hat sich substanziell auch noch nichts verändert. Wie sich das auf unsere Wirtschaft auswirkt, wird entscheidend davon abhängen, zu welchen Ergebnissen die „Scheidungsverhandlungen“ mit Großbritannien führen.

Aber Einschnitte sind abzusehen?

Gravierend ist, dass die EU mit Großbritannien die drittgrößte Wirtschaftsnation und 16 Prozent ihrer ökonomischen Kraft verlieren wird – und gleichzeitig den drittgrößten Nettozahler.

Daraus dürfte folgen, dass der EU-Haushalt nach Vollzug des Austritts gewaltig schrumpfen wird. Ist die Fördersumme von 2,86 Millionen Euro bis 2020 für Sachsen-Anhalt in Gefahr?

Das kann man abschließend noch nicht sagen. Auch über diese Frage wird unter den 27 EU-Ländern – und wenn Schottland dabei bleibt, unter einer veränderten EU mit 28 Staaten – zu verhandeln sein. Es ist vorstellbar, dass die verbleibenden Nationen die britischen Einzahlungen kompensieren. Damit würde der Umverteilungsprozess deutlich anspruchsvoller werden. Es ist aber auch vorstellbar – und ich persönlich rechne damit – dass der EU-Haushalt reduziert werden muss. Dann müssten wir mit weniger Geld rechnen, sobald der Austritt wirksam wird. Wann das ist, bleibt allerdings abzuwarten.

Infografik: Die Alten haben entschieden | Statista
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Wird es einen neuen statistischen Effekt für Sachsen-Anhalt geben, nachdem das Land wirtschaftlich im Vergleich nach oben rutschen wird und Förderansprüche verliert?

Das kann passieren, aber wir sind schon seit Jahren über der relevanten Grenze des 75-Prozent-Durchschnitts beim Bruttosozialprodukt. Strategisch bereiten wir uns darauf vor, das „Phasing out“ (Auslaufen lassen) auszugestalten. Wir sind der Überzeugung, dass die demografische Komponente nach 2020 eine größere Rolle spielen muss. Das Hauptthema ist derzeit, dass es in Brüssel eine starke Tendenz gibt, Strukturfondsmittel in fachpolitische Kapitel überzuleiten, wie Wissenschafts- oder Migrationspolitik. Strukturfondsmittel werden von unten nach oben geplant, der Brüsseler Ansatz ist von oben nach unten. Hier sollte der Brexit noch einmal aufrütteln in Brüssel, weil das genau die Fliehkräfte stärkt in ihrem Bestreben, die Union zu verlassen. Die Zäsur ist in Brüssel noch nicht angekommen.

Nach bisherigem Szenario wäre Großbritannien frühestens in zwei Jahren raus der EU?

Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, dass es länger dauert. Von dieser Zwei-Jahres-Frist spricht Artikel 50 des EU-Vertrages. Aber diese Frist beginnt erst, wenn die Briten ihren Antrag einreichen. Es gibt Überlegungen, den Antrag erst nach einer parlamentarischen Entschließung zu stellen. Großbritannien hat relativ wenig Erfahrungen mit Plebisziten. Eine geschriebene Verfassung hat es auch nicht. Generell gilt: Es geht nicht einfach das Licht aus.

Was bedeutet der Austritt für den Alltag zwischen Briten und EU-Bürgern, von Sicherheit bis zu Staatsbürgerschaftsrecht?

Viele sprechen schon von der Übernahme des schweizerischen oder norwegischen Modells. Ich halte das nicht für realistisch und bin davon überzeugt, dass es auch im Verhältnis zu Großbritannien ein sehr spezielles Modell geben wird. Sicherheitspolitische Fragen stellen sich schon deshalb anders, weil Großbritannien Inselstaat ist – die gemeinsame Grenze ist die Nordsee.